Die globale Wirtschaft wird aktuell mehr denn je durch disruptive Digitalunternehmen mit Plattform-Geschäftsmodellen beherrscht. Die Liste an Beispielen ist lang und wird zumeist von Alphabet (Google), Apple, Facebook, Amazon und Microsoft angeführt. Eine ähnliche Entwicklung ist im chinesischen Wirtschaftsraum mit den Tech-Giganten Baidu, Alibaba, Tencent und Xiaomi zu beobachten. Auch im europäischen Wirtschaftsraum gibt es mit Spotify, Zalando, About You oder der Delivery Hero einige prominente Plattformunternehmen, die jedoch im Hinblick auf Unternehmenswert bzw. Marktkapitalisierung um ein Vielfaches kleiner sind und keine globale Dominanz entfalten.
Der Blick auf die Zahlen, Daten, Fakten spiegelt die Verhältnisse gut wieder. So haben sieben der aktuell zehn wertvollsten, börsennotierten Unternehmen ein Plattform-Geschäftsmodell [LINK]. Diese Überlegenheit zeigt sich auch in Krisenzeiten: Während nahezu alle Aktienkurse zu Beginn der Coronakrise im März einbrachen und bis heute stark an Wert verloren haben, konnten sich führende Technologie- bzw. Plattformunternehmen schnell erholen bzw. erreichten teilweise sogar neue Rekordwerte (z.B. Amazon, Tesla, Netflix, Stand: Juni 2020).
Doch was genau ist eigentlich ein Plattform-Geschäftsmodell? Diese Frage lässt sich in verschiedensten Dimensionen beantworten. Im Kern lässt sich dabei festhalten, dass eine Plattform die Rolle eines Intermediäres oder Vermittlers einnimmt, der Marktteilnehmer zusammenbringt und den Austausch zwischen Angebot und Nachfrage erleichtert oder erst ermöglicht.
Die Digitalisierung oder besser gesagt die zunehmende Vernetzung durch mobile Endgeräte, Edge- und Cloud-Computing sorgt nun dafür, dass sich die Ausbreitung von (digitalen) Plattformen erheblich beschleunigt. Durch sich selbst verstärkende Netzwerkeffekte entstehen dominante Marktstellungen; teilweise sogar als Monopolstellungen. Diese Entwicklungen werden häufig unter dem Begriff der Plattformökonomie beschrieben, die oftmals mit dem Slogan ´The Winner takes it all´ in Verbindung gesetzt wird. Das Thema Plattformökonomie ist inzwischen auch auf der obersten Regierungsebene angekommen. So resümierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeiner auf dem Digitalgipfel 2019:
Digitale Plattformen krempeln die globale Wirtschaft um. Als direkte Schnittstelle zwischen Herstellern, Kunden und Usern verändern sie ganze Branchen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Deutschland und Europa wollen und dürfen hier nicht nur Zuschauer sein“
Daten sind das Erfolgsgeheimnis von Plattformen.
Als zentrale Erfolgsformel von Plattformunternehmen gelten Netzwerkeffekte, die Besetzung von Kundenkontrollpunkten sowie hohe Wechselkosten. Daneben spielen immer mehr Daten eine zentrale Rolle, die vom ursprünglichen Nebenprodukt von Transaktionen zum Wirtschaftsgut und Innovationstreiber für Unternehmen geworden sind. Plattform-Unternehmen analysieren verschiedenste Datentypen, um neue Erkenntnisse über das Kundenverhalten und deren Bedürfnisse zu erlangen. Komplexe Analyseverfahren sorgen letztlich dafür, dass Umsätze gesteigert (z.B. in Form individuellerer Angebote) und neue Einnahmequellen erschlossen werden können. Die Expansion von (digitalen) Plattformen fand dabei vor allem in Endkundenmärkten (Business-to-Consumer, B2C) statt, wie die untere Abbildung zeigt:
Während die obigen Unternehmen ihre Angebote nun immer mehr in Richtung Geschäftskunden (Business-to-Business, B2B) erweitern, machen sich auch etablierte Industrieunternehmen die Erfolgsformeln des Plattform-Geschäfts zu nutze. Bekannte Beispiele aus Deutschland sind hier SAP und SIEMENS, die sich zu Plattformunternehmen transformieren.
Von besonderem Interesse im B2B-Umfeld sind dabei produktionsbezogene Daten, die der Schlüssel für neue Wertangebote sein können. Experten sprechen davon, dass nach der „Eroberung“ der B2C-Märkte nun eine zweiten Welle der Plattform-Revolution begonnen hat.
Die zweite Welle der Plattform-Revolution hat begonnen.
Insbesondere durch die zunehmende Vernetzung von Maschinen, Menschen und Produkten im Sinne eines Industrial Internet-of-Things (IIoT) werden digitale Plattformen eine zentrale Rolle in der Wertschöpfung spielen. So geben in einer aktuellen BDI-Studie 80% der befragten Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau sowie der Elektroindustrie an, dass digitale B2B-Plattformen in den nächsten zehn Jahren eine (sehr) große Bedeutung für die jeweilige Branche erlangen werden. [LINK]
Führende Automatisierungsunternehmen, wie General Electric (Predix), Siemens (MindSphere) und PTC (ThingWorx) haben die hiermit verbundenen Marktpotenziale längst erkannt. Aber auch Amazon, Alphabet und Co. versuchen stetig neue Geschäftsfelder zu erschließen. Hier bleibt die Frage, wie gut es einem digitalen Unternehmen ohne nennenswertes Produktions-Know-how gelingen kann, die Industrie durch Plattformlösungen zu erschließen. Henrik Hahn (Chief Digital Officer bei Evonik) beschreibt diese Herausforderung aus der Perspektive des Chemiekonzerns im Handelsblatt wie folgt:
Die Frage ist, wie attraktiv das Chemiegeschäft für einen branchenfremden E-Commerce-Player ist. Man braucht viel Branchenwissen, zudem ist es für die Kunden auch eine Frage, wem sie dabei vertrauen. [LINK]
An dieser Stelle sollte klar geworden sein, dass Plattformgeschäftsmodelle zahlreiche Innovationschancen für etablierte Unternehmen aus dem Mittelstand bieten. Gerade das tiergehende Branchenwissen hebt Industrieunternehmen dabei (noch) von den rein digitalen Playern ab. Dennoch wird deren Eintritt in die Industriewelt auch diese grundlegend verändern und Wertschöpfungsstrukturen und Machtverhältnisse verschieben. Insbesondere im Hinblick auf Kompetenzbereiche ist abzusehen, dass neue Skills abseits des reinen Produktionswissens gefragt sein werden: Big Data Analytics, UX Design, DevOps, Cloud Architecture, Security und viele mehr.
Zeit für neue (digitale) Geschäftsmodelle.
Vor einigen Jahren prognostizierten führende Experten der RWTH Aachen, dass sich die Welt des Maschinen- und Anlagenbaus erheblich wandeln wird. Während das bis dahin vorherrschende Produktgeschäft mit Maschinen, Anlagen und Komponenten inzwischen durch ein abgestimmtes Software- und Digitalgeschäft erweitert wird, verschieben sich die Umsätze und Margen zukünftig immer weiter in diese Richtung. Der Einzug des App-Stores in den Maschinen- und Anlagenbau hat damit längst begonnen [LINK].
Hier liegen aus meiner Sicht große Chancen für etablierte Anbieter, eigene Produkte um abgestimmte digitale Services und Lösungen zu erweitern, um den Wettbewerbsvorsprung vor branchenfremden Anbietern zu bewahren. Ich bin mir sicher, die Frage wird nicht sein ob, sondern wann Plattform-Geschäftsmodelle einen substantiellen Anteil des Industriegeschäftes erreichen werden. Viele Beispiele aus dem digitalen Ökosystem in NRW und dem Münsterland im Speziellen stimmen mich positiv, dass wir den Wandle proaktiv mitbestimmen können.
Aufbau eines vs. Anschluss an eine bestehendes Plattformgeschäft?
Die Vernetzung in digitalen Ökosystemen ist für alle Industrieunternehmen essentiell, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Die zentrale Frage bleibt dabei, welcher Weg eingeschlagen wird: Aufbau eines eigenen Plattformgeschäftes oder doch die Integration in eine bestehende (Plattform-)Lösung?
Ich glaube, hier gibt es kein richtig oder falsch. Jedes Unternehmen muss für sich selbst herausfinden, welche Strategie die richtige sein kann. Relevant ist aber, den Wandel zu analysieren und das eigene Geschäftsmodell adaptiv daran anzupassen. Daher möchte – wie in der Einleitung – mit den Worten von Peter Altmeier schließen, der einen Appel an die deutsche Wirtschaft richtet:
Wir müssen jetzt unsere Stärken einsetzen, um selbst Gestalter der Plattformökonomie zu werden und dafür sorgen, dass auch aus Deutschland und Europa heraus international erfolgreiche Plattformen entstehen. Das schafft Wachstum und Arbeitsplätze und trägt erheblich dazu bei, unsere Wirtschaft zukunftsfest aufzustellen.
Ich freue mich, wenn dieser Artikel weitere Unternehmen dazu inspiriert, sich über Plattform-Geschäftsmodelle auszutauschen. Dieser Artikel wurde wesentlich durch folgende Studien inspiriert: