Augmented Reality

Klare Sicht beim Fensterkauf dank Augmented Reality

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Das Industrieunternehmen VEKA AG aus Sendenhorst ist ein Produzent von Kunststoff-Profilsystemen für die Herstellung von Fenstern, Türen, Rollläden und Schiebetüren. Um die Entwicklung kundenzentrierter, digitaler Servicelösungen zu beschleunigen, wurde aus einem Bereich der IT-Abteilung die Digital Building Solutions GmbH (DBS) ausgegründet. Im Interview sprachen wir mit den Geschäftsführern Dr. Matthias Koch und Karl Dietrich Wellsow über die Hintergründe der Ausgründung und die Entwicklung einer AR-Anwendung für Fenster-Visualisierungen.

Hallo und herzlichen Dank, dass ihr uns hier im Interview mehr zur Ausgründung der DBS und der Entwicklung der Augmented-Reality Anwendung berichtet. Bitte stellt zu Beginn euch und euer Unternehmen vor.

Matthias Koch (MK): Ich bin Matthias Koch und bin seit fünfeinhalb Jahren in der VEKA Gruppe in verschiedenen Funktionen tätig. Zusammen mit Karl Dietrich Wellsow übernehme ich die Geschäftsführung der DBS, wobei wir uns die Funktionsbereiche aufteilen. Herr Wellsow ist IT-ler und übernimmt die technische Perspektive und ich kümmere mich vor allem um die Finanzierung, das Marketing und die strategische Positionierung. Die DBS ist eine Ausgründung der VEKA AG. Wir haben die Abteilung von Herrn Wellsow – vorher Teil der IT-Abteilung – über § 613a BGB „Betriebsübergang“ ausgegründet. Meine Aufgabe ist, die DBS im Konzern richtig zu positionieren.

Karl Dietrich Wellsow (KDW): Ich bin Karl Dietrich Wellsow und seit 2006 in der VEKA Gruppe. Wie Matthias Koch eben schon sagte, leite ich den IT-Bereich bei der DBS. Die IT bei VEKA war in drei Bereiche geteilt; zum einen der Systembetrieb, zum anderen die SAP – Applikationen für alle internen Unternehmensbereiche. Ich habe die dritte Abteilung geleitet, in der es um Customer Service ging. In diesem Bereich haben wir uns damit beschäftigt, Prozesse bei und mit den Kunden zu digitalisieren. 2020 haben wir dann entschieden, diese Abteilung in eine eigene Gesellschaft auszugliedern.

Gesprächspartner Dr. Matthias Koch und Karl-Dietrich Wellsow (von links). (Quelle: Digital Building Solutions).

Was macht die VEKA AG und was genau war der Hintergrund der Ausgründung?

MK: Die VEKA AG ist im Kern ein ganz klassisches Industrie-Unternehmen. Wir extrudieren PVC-Profile für Fenster und Türen, vor allem aber Fenster. In Deutschland ist PVC das dominierende Rahmenmaterial mit ungefähr 60%. D.h. 6 von 10 Fenstern in Deutschland sind aus Kunststoff. Das kann man sich so vorstellen: Wir haben hier in Sendenhorst 100 Extruder stehen. Oben wird PVC-Pulver eingefüllt, es braucht etwas Wasser und Energie, und dann werden daraus Kunststoffprofile gezogen, die schließlich von unseren Fensterbauern auf Gehrung und die richtige Länge geschnitten und verschweißt werden. Zusammen mit der Glasscheibe und weiteren Bauteilen entsteht so ein Fenster.

Das ist der industrielle Teil unserer Arbeit und unser Kerngeschäft. Zusätzlich gewinnen weitere Bereich an Bedeutung, wie zum Beispiel die Logistik, die Verfügbarkeit und aber auch die digitale Unterstützung.

Im Bereich der Digitalisierung ist die VEKA AG mit Herrn Wellsow und vorangegangenen Generationen bereits seit 30 Jahren aktiv. Es war immer ein Ziel, unseren Verarbeitern digitale Hilfsmittel an die Hand zu geben. Das beginnt bei digitalen Handbüchern, geht aber über die Zurverfügungstellung von Stammdaten und Kundendienst hinaus. Mit der Ausgründung haben wir uns zunehmend bemüht, unserem Kerngeschäft in der Digitalisierung noch verstärkt innovative Bereiche hinzuzufügen, wie auch mit dem Thema Augmented Reality. Was uns immer antreibt ist die Frage, wie wir durch die Digitalisierung von Prozessen oder mit digitalen Werkzeugen die Prozesseffizienz beim Kunden steigern können.

Dazu kommt, dass die VEKA AG weltweit tätig ist. Möchten wir also ein Thema wie Augmented Reality angehen, macht es Sinn, eine zentrale Lösung durch die DBS zu entwickeln und diese dann in alle Märkte auszurollen.

KDW: Die VEKA ist ein weltweiter Konzern mit 6.500 Mitarbeitenden. Die Verarbeiter sind meist mittelständische Unternehmen mit rund 300 Angestellten oder oft auch noch kleiner. Das zeigt auch die Erwartungshaltung, die die Kunden an uns haben. Wir sind nicht nur ein Halbzeuglieferant, sondern auch Systemgeber. Die Systeme werden durch uns technisch durchdacht und genau das führen wir jetzt auch im digitalen Bereich weiter. Die Verarbeiter haben meist nicht die Ressourcen, um sich selbst digitale Tools zu schaffen.

Was waren die Beweggründe für die Einführung von AR und wie sieht die konkrete Anwendung aus?

KDW: Wir setzen Augmented Reality für die Kundengewinnung und Kundenbindung ein. Unsere Fokusgruppe ist dabei der Endkunde. Dieser Fokus ist neu für uns, denn vorher waren es unsere Vertriebskunden, also die Fensterbauer, die wir mit einer innovativen Idee zum Fensterverkauf unterstützen wollten – weg von klassischen Ausstellungen und hin zu einem innovativeren Ansatz. Wir wollten ein Tool kreieren, das den Fensterverkauf unterstützt, indem es die komplette Visualisierung des Produkts Fenster in der Umgebung des Kunden darstellt. Das war unsere Motivation, uns näher mit dem Bereich Augmented Reality zu beschäftigen. Unter anderem ist uns dabei die Anwendung von IKEA begegnet, mit der die Möbel per App über das Endgerät im eigenen Raum platziert und visualisiert werden können. Dies war die Geburtsstunde der Idee für WinDo Imaging. Mit WinDo Imaging haben wir die Möglichkeit, Fensterelemente beim Kunden direkt zu visualisieren. Über eine App können damit Fensterelemente an der bevorzugten Stelle im Raum oder in der Fassade platziert werden. Auch die gewünschten Parameter wie Formen, Farben und Griffe können angepasst werden.

Beispiel der WinDo-Anwendung auf einem Tablet. (Quelle: Digital Building Solutions).

Gab es vor der App-Entwicklung Kundenanfragen für solch ein Angebot?

KDW: Eher nicht. Wir haben in der Vergangenheit bereits einen Virtual Showroom mit Virtual Reality angeboten – dieser wurde allerdings nicht angenommen.

MK: Wir versuchen uns immer an Nutzen und Mehrwert für Kunden zu messen. Daher achten wir sehr darauf, dass die Technologie auch eine Nutzungs- und Zahlungsbereitschaft generiert. Auch deswegen sind wir weg von VR zu AR. WinDo Imaging hat eine ganz klassische Anwendung, die bestehende Realität und Fenster verbindet – nämlich beim Sanierungsfall. Beim Neubau bewegt man sich häufig komplett im virtuellen Raum. Im Bereich der Sanierung gibt es aber einen echten Bedarf. Man stelle sich vor, man erbt das Haus der Oma mit weißen Fenstern und gelber Backsteinfassade – da fehlt die Vorstellungskraft, wie das Ganze mit weißer Fassade und grauen Fenstern aussehen könnte. Für diese Zielgruppe stellt unsere Anwendung eine wirkliche Unterstützung bei der Kaufentscheidung dar.

Mit welcher Software und Hardware arbeitet ihr für die AR-Anwendung?

KDW: Wir haben zwei Applikationstypen. Bei Web AR arbeiten wir mit dem ARKit für iOS und ARCore für Android. In der AR-App nutzen wir Unity mit dem Zusatzplugin ARFoundation. Wir benötigen also nur eine Entwicklung für iOS und Android, denn das Plugin spricht dann jeweils ARKit und ARCore an. Entwickelt wird in Unity mit C#. Für die Entwicklung haben wir uns auch einen Dienstleister gesucht, der Erfahrung in dem Bereich hatte.

Was waren bisherige Herausforderungen und Hürden beim Ausbau und Einsatz der Technologie?

KDW: Die größte Herausforderung war, die Technologie passend einzusetzen. Was wir absolut unterschätzt haben, ist die Komplexität. Anders als bei dem Beispiel von IKEA– wo es nur eine Ebene gibt – müssen wir beim Fensterbau zwei Ebenen betrachten. So zum Beispiel bei der Fensterbank, wobei die Z-Dimensionierung beachtet werden muss. Dies technisch zu finalisieren hat gedauert. Themen wie Bodenkalibrierung, die Visualisierung an der Wand, das Thema Usability – das war ein langer Prozess.

MK: Eine weitere Herausforderung war, sich nicht von den Möglichkeiten der Technologie leiten zu lassen, sondern die Technologie als Hilfsmittel zu sehen für das, was man beim Kunden bewirken möchte. Wir haben festgestellt, dass manchmal das kleinere Kaliber das bessere ist für das, was man erreichen möchte. Sonst verrennt man sich schnell in technologischer Kleinarbeit und verliert das Kundenbedürfnis aus dem Blick.

Wie nehmen die Kunden die Anwendung an?

KDW: Wir haben unsere Kunden bereits bei der Entwicklung und in den Testphasen involviert. Außerdem haben wir auch VEKA Mitarbeiter aus anderen Bereichen mit der ersten Version arbeiten lassen, zum Beispiel, um die Usability zu testen. Als wir einen halbwegs guten Stand hatten, sind wir damit auf die Kunden zugegangen und haben uns direktes Feedback zu ihren Bedürfnissen eingeholt. Einen Wow-Effekt konnten wir mit WinDo Imaging bei einigen Kunden auf jeden Fall erzeugen. Negatives Feedback gab es zum Beispiel, weil Kunden die Darstellung in der App zu klein fanden, um sie mit zwei Personen anzuschauen.

MK: Wir suchen uns für die Pilotierung auch Partner aus, von denen wir wissen, dass sie eher innovationsfreundlich sind und ein offenes Ohr haben. Von diesen Kunden bekommen wir schon Rückenwind. Wir hatten auch schon die Möglichkeit das Produkt auf Händlertagen vorzustellen und ernten auch dort positives Feedback. Das ist gut, aber nicht gleichbedeutend mit Zahlungs- und Nutzungsbereitschaft. Wir müssen uns nicht an Applaus messen, sondern immer hinterfragen: Treffen wir den richtigen Abstraktionsgrad aus Nutzen und Detailebene?

Was würdet ihr anderen Unternehmen raten, die ein AR-Projekt umsetzen möchten?

KDW: Für mich ist das Tool fast nebensächlich. Ich komme aus der Prozesskette und muss mit einem Tool zuerst Prozesse effizienter machen können. Neben dem positiven Kundenerlebnis ist für mich wichtig, dass der Bestellprozess digital bei mir ankommt, ich digital damit weiterarbeiten kann und der Kunde schnell ein digitales Angebot bekommt. Wir haben das Thema AR ausgewählt, aber diese Transformation hinzubekommen, das wird auch für uns künftig noch eine Herausforderung. Für mich gilt: Klein anfangen und dabei das Ziel nicht aus den Augen verlieren.

MK: Die Prozesseffizienz kann ich nur unterstreichen. Meine erste Empfehlung wäre, immer darauf zu achten, was ich bei Kunden bewirken möchte. Es gibt bei der Digitalisierung zwei Möglichkeiten: Entweder einen Zusatznutzen zu generieren oder einen „Pain“ zu lindern. Ich denke, dass bei Industrie und Mittelstand das „Lindern von Schmerzen“ über Lösungen und Services häufig mächtiger ist als der Zusatznutzen. Denn das Baugewerbe hat wenig Zeit über neue Erlös- und Geschäftsmodelle nachzudenken. Ich glaube das trifft nicht den Schmerzpunkt. Was aber mehr Potenzial hat, das zeigt sich auch in unserem Portfolio: Wenn ich schaffe einem Verarbeiter zu vermitteln, dass unsere Tools seine Probleme lösen, dann ist man im Gespräch. Man verliert sich zu schnell darin zu denken: „das müssen die doch wollen – das hat diesen Nutzen…“ – aber am Ende des Tages zählen die Dimensionen Geld und/oder Zeit und gerade nicht zusätzlicher Aufwand neuer Geschäftsmodelle.

Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!

Für KMU des produzierenden Gewerbes gibt es in unseren Augmented Reality Fokusgruppen die Gelegenheit für den intensiven Erfahrungsaustausch untereinander zum Einsatz der Technologie – unabhängig vom aktuellen Kenntnisstand.

Leitfäden zum Thema Augmented Reality findet ihr hier.

Unterstützung und Informationen bei Unternehmensausgründungen gibt es auch im Netzwerk des Digital Hub münsterLAND. Für einen ersten Einblick empfehlen wir den Leitaden „ein Corporate Venture gründen“

Weiterführende Quellen:

Chi, H. L., Kang, S. C., & Wang, X. (2013). „Research trends and opportunities of augmented reality applications in architecture, engineering, and construction“Automation in construction33, 116-122.

Hartwig, J., Botzenhardt, F., & Ferdinand, H. M. (2016). „Eine neue Realität im Kundenservice: Ist es aus Marketing-Sicht sinnvoll, Kundenservices auf Augmented Reality-Technologie aufzubauen?“. Markenbrand, (5/2016), 8-18.

Mehr Informationen über die WinDo Imaging Lösung gibt es bei Digital Building Solutions.


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