Potenzialbericht

Von der ersten Robotikzelle zum eigenen Geschäftsmodell in fünf Jahren

Wie bei der Firma Grunewald der Digitalisierungsanspruch auch ohne Vision schnell zu großen Erfolgen führte
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Die Firma Grunewald GmbH & Co. KG aus Bocholt bietet Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Automotive, Aerospace, Aluminium- und Eisenguss und mechanische Bearbeitung an. In den letzten fünf Jahren hat das Unternehmen aus der Programmierung eigener Robotikzellen ein neues Geschäftsmodell entwickelt. Geschäftsführender Gesellschafter Ulrich Grunewald berichtet im Interview, welche Faktoren dem Unternehmen seit Jahrzehnten die Umsetzung erfolgreicher Innovations- und Digitalisierungsprojekte ermöglichen.

Herr Grunewald, wie kam es zum Einsatz der ersten Robotik-Anwendung in Ihrem Betrieb?

Unser Produkts- und Angebotsportfolio ist relativ breit. Damit können wir dementsprechend sehr viele verschiedene Branchen bedienen. Letztlich ist vieles davon aus dem Werkzeugbau entstanden, über den wir durch unsere Kunden vermehrt Automatisierungsanfragen erhalten haben. Die Robotik-Anwendung in der Form und dem Umfang, wie wir sie heute haben, begann vor etwa 5 Jahren. Wir hatten früher ein Werk in Stade, in dem wir Flugzeugteile für Airbus produziert haben. Dieses Werk haben wir zu dem Zeitpunkt verkauft. Der Käufer wollte jedoch eine Automatisierungszelle aus dem Werk nicht übernehmen. Es stellte sich uns also die Frage: Was können wir damit tun?

Etwa zeitgleich, im Jahr 2016, haben wir einen Werkstudenten der Hochschule eingestellt, der Robotik-Erfahrung mitbrachte. Wir haben also zusammen mit ihm begonnen, die Roboter aus dem anderen Werk zu nutzen und zunächst unsere eigene Fertigung zu automatisieren, um die Mitarbeitenden zu unterstützen. Daraus ist schließlich das Projekt im heutigen Umfang entstanden.

Können Sie genauer beschreiben um welche Automatisierung es zu Beginn ging?

Es ging zunächst um das Fräsen von Formsand. Sie können es sich so vorstellen: Ein Gussteil wird bei uns hergestellt, in dem wir zunächst über ein Modell aus dem 3D-Drucker oder mittels Sandfräsen eine Sandform herstellen. Eine Sandform auf einer Fräsmaschine verträgt sich aber überhaupt nicht, denn der Quarzsand ist sehr abrasiv. Das kennt man vom Strand: Dinge, die man häufig am Strand benutzt, gehen sehr schnell kaputt, wenn der Sand daran reibt. Und das gleiche passiert auch an der Maschine.

Der Roboter ist da etwas unempfindlicher, da empfindliche Teile besser geschützt werden können. Wir haben also große Sandformen mit dem Roboter gefräst – auch jede Sandform individuell. Das heißt: Wir mussten für jede Sandform ein neues Programm für die Anwendung programmieren. Dennoch war das Fräsen der Formen mit dem Roboter deutlich schneller. Wir haben die Zeit sogar fast halbieren können.

Dieses Projekt war das erste, in dem unser damaliger Werkstudent seine Fähigkeiten einsetzen konnte. Da viele unserer Kunden aus der Automobilzulieferindustrie stammen, konnten wir die bisher gewonnenen Erkenntnisse bald in anderen Roboterzellen einsetzen.

In welchen Bereichen werden die Roboter jetzt eingesetzt?

Dabei geht es um die Nachbearbeitung von Gussteilen. Die Gussteile wiegen um die 10 kg. Das Angusssystem wiegt nochmal 20kg – und das muss abgetrennt werden. Also hat der Mitarbeitende ein Bauteil in der Hand mit einem Gewicht von insgesamt ungefähr 35kg. Das ist an sich nicht sehr schwer, aber wenn Sie es umdrehen und damit arbeiten, ist es gesundheitlich nicht ideal. Dazu halten die Mitarbeitenden noch das Trennwerkzeug in der Hand.

Wir nutzen den Roboter gerade so, dass dieser die groben Arbeiten übernimmt, bis das Bauteil nur noch 10 kg wiegt. Für die anschließende Feinarbeit hat die menschliche Hand immer noch das bessere Gefühl. Langfristig würden wir aber natürlich gerne dahin, dass das sogenannte Bauteil-Putzen auch von Robotern durchgeführt werden kann – da es eine eher unbeliebte Aufgabe ist. Bislang sind wir noch nicht so weit, aber daran arbeiten wir gerade.

Unsere größte Herausforderung ist und bleibt bei der Produktvielfalt: Stückzahl 1. Wir haben manche Bauteile in Einzelfertigung bis zu maximal ein paar hundert Stück. Wir müssen langfristig versuchen, auch diese kleinen Stückzahlen zu automatisieren.

Robotergestütztes Fräsen von Formsand. (Quelle: Grunewald GmbH & Co. KG.)

Wie standen Ihre Mitarbeitenden zu der Einführung der Roboter? 

Zu Beginn war leichte Skepsis da, im Sinne der Frage „ersetzen die Roboter uns?“. Aber wir konnten Bedenken ausräumen. Wir haben gezeigt, was wir vorhaben und sind sogar auf Begeisterung gestoßen, denn der Roboter brachte Arbeitserleichterungen mit sich. Auch in die Planung und Entwicklung haben wir die Mitarbeitenden mit einbezogen. Jetzt macht also der Roboter, was er kann, und die Mitarbeitenden, was sie können.

Wir haben bemerkt, dass die Mitarbeitenden vor allem keine „nicht wertschöpfenden“ Tätigkeiten mehr übernehmen möchten. Auch das hat die Roboterzelle ermöglicht. Es gibt genug Themen, die die Mitarbeiter beachten müssen, und Dinge, die sie besser können als der Roboter. Da sich die Mitarbeitenden wohlfühlen, denken sie mit und machen Vorschläge oder haben Ideen zum Einsatz des Roboters. Davon können auch die Kunden und Kundinnen profitieren. Denn bei der Automatisierung werden Aufträge meist durch Erfahrung gewonnen. Wenn wir etwas also dank der Impulse unserer Mitarbeitenden bereits ausprobieren konnten, können wir unsere Angebote auf Erfahrungswerten basieren.

Welche Software und welche Hardware nutzen Sie für die Robotikzelle genau?

Angefangen sind wir mit Kuka Robotern und der Software RoboDK. Das ist im Prinzip ein einfaches und günstiges Roboterprogramm, das Herr Wewers, der damalige Werkstudent, von seiner Hochschule kannte. Da er damit er alles umsetzen konnte, was wir benötigen, haben wir hierfür eine Lizenz angeschafft. Das ist im Vergleich zu anderen Programmen sehr simpel und praxisorientiert. Dazu kommt das Thema der SPS-Steuerung. Dafür nutzen wir verschiedene Anwendung des Herstellers SIEMENS.

Wir haben für die Software kein Benchmarking oder ähnliches gemacht – wir haben uns für die Software entschieden, mit der Herr Wewers umgehen konnte. Er hat zwar anderes probiert, kam aber mit diesem System für unsere Anforderungen am besten zurecht. Auf Kundenwunsch haben wir auch schonmal einen ABB Roboter benutzt. Dafür hat er dann eine neue Schnittstelle geschrieben, sodass der Kunde das fertige Programm erhielt.

KUKA-Roboterzelle bei der Firma Grunewald. (Quelle: Grunewald GmbH & Co. KG.)

Das heißt Sie nutzen einerseits Roboter für die eigene Produktion und andererseits verkaufen sie auch Robotikzellen?

Genau. Nachdem wir festgestellt haben, dass wir in der Entwicklung und Herstellung von Roboterzellen eine ganze Menge Knowhow in der Firma haben – wir als Westfalen sind ja gerne ziemlich zurückhaltend – haben wir etwa 2018 begonnen, unseren Kunden und Kundinnen dann auch entsprechende Angebote zu machen. Beziehungsweise kamen hier zu dem Zeitpunkt auch bereits Anfragen von den Kunden und Kundinnen selbst, da sie unsere Anwendungen gesehen haben.

Was sich hierbei herausgestellt hat, ist: Es ist wichtig, dass wir direkt eine Visualisierung, bzw. Simulation mitliefern können, um zu zeigen, wie die Zelle und die genauen Abläufe aussehen. So kann die Kundschaft direkt sehen, ob das Angebotene den eigenen Ansprüchen und Erwartungen entspricht. Insgesamt haben wir bislang zwei Zellen gebaut, bevor die Pandemie begann. Aktuell bearbeiten wir mehrere Kundenanfragen im Bereich Automatisierung und Robotik.

Dann hat sich das Geschäftsfeld innerhalb von nur 2 Jahren nach der Einstellung des Werkstudenten entwickelt – sehr schnell! Welche weiteren Prozesse und Abläufe mussten Sie hierfür anpassen?

Genau, etwa ein bis zwei Jahre haben wir gebraucht zu merken, dass wir uns das zutrauen. Denn zu dem Vertrieb der Robotikzellen gehört nicht nur die Programmierung, sondern auch die Sicherheitstechnik. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir „nur“ einen Mitarbeiter, der auch die ganze übergeordnete Programmierung übernehmen kann. Es kommt jetzt bald ein weiterer Mitarbeiter hinzu. Wichtig war natürlich auch die Auslegung nach CE und die Einhaltung von DIN-Normen und Sicherheitsanforderungen. Besonders Arbeitsschutz ist bei den kollaborativen Zellen wichtig.

Zukünftige Themen für uns sind bspw. Predictive Maintenance und Augmented Reality, um die Roboterzellen für die Kunden noch produktiver gestalten zu können.

Gab es auch konkrete Schwierigkeiten oder Herausforderung bei der Entwicklung oder Implementierung der Roboterzelle?

Eine ganze Menge. Zum Beispiel als wir versucht haben, eine Bauteilverfolgung einzuführen. Das bezieht vorgelagerte Prozesse mit ein. Gießparameter und Materialzeugnisse müssen mit archiviert werden und Prüfzyklen eingeschlossen werden. Diese Vorgänge wollten wir automatisieren. Dabei sind wir zunächst an unsere Grenzen gestoßen. Aber da haben wir uns sorgen an der falschen Stelle gemacht: Unsere IT ist sehr praxisorientiert und konnte doch noch eine Lösung finden.

Was ich aber meine ist, dass das Projekt nie zu groß werden sollte, sodass die Leute nicht denken: „wir kommen nie an“. Das wäre demotivierend. Und deswegen haben wir uns auch abgewöhnt, so eine Vision aufzuzeigen. Wir fangen einfach an, den Weg zu gehen, und schauen links und rechts und legen den Weg dann gemeinsam zurück. Das kommt viel besser an. Wir sagen nicht, dass wir in drei Jahren komplett digitalisiert sein möchten – das macht die Mitarbeitenden nervös. Einfach auf den Weg machen – das ist viel angenehmer und besser begreifbar. Natürlich muss dennoch alles in irgendeiner Form organisiert und umgesetzt werden.

Was wären Ihre Tipps und Hinweise für andere Unternehmen, die eine Robotikzelle installieren oder Digitalisierungsprozesse anstoßen möchten?

Das wichtigste ist: einfach anfangen. Man muss sich ein kleines Ziel setzen und sagen: „Da muss ich jetzt hin“. Sich auf den Weg zu machen ist viel wichtiger, als sich erst eine große Vision an die Wand zu schreiben und dann zu schauen, wie man diese erreicht.

Wir beschäftigen uns mit dem Thema „Digitalisierung“ zum Beispiel bereits seit 30 Jahren. Unser Vater hat schon die Fertigung digitalisiert. Früher hieß das „CIM“ oder Industrie 4.0. Wir haben aber nie unsere „Vision“ erreicht, weil wir merken, dass es immer weiter geht. Jetzt setzen wir uns z. B. mit dem Thema Internet-of-Things auseinander. Wir werden uns also immer weiterentwickeln.
Also: Kleine Ziele setzen, kleine Projekte anfangen. Und sich schrittweise auf den Weg machen. Mit den heutigen Technologien ist das auch wirtschaftlich gut machbar. Es sind keine großen Investitionen in Hardware mehr nötig. Auch mit einfachen Mitteln kann bereits viel erreicht werden. Und: Lassen Sie sich auch von Rückschlägen nicht irritieren. Unsere Robotikanwendung beispielsweise sieht heute schließlich auch ganz anders aus als zu Beginn. Wenn mal etwas nicht passt, bauen wir eben um.

Der wichtigste Punkt ist aber, das Personal mitzunehmen und ihre Bedürfnisse und Bedenken ernst zu nehmen. Wenn Sie den Mitarbeitenden beispielsweise eine neue Software präsentieren, die einfach und intuitiv zu bedienen sind, dann werden die Mitarbeitenden diese gerne implementieren und eigene Ideen einbringen. Bilden Sie außerdem Ihre Mitarbeitenden entsprechend aus, bzw. weiter, oder suchen sich Unterstützung von der Hochschule oder Weiterqualifizierungsträgern.
Wenn Sie schrittweise anfangen und die Mitarbeitenden die Vorteile bemerken, dann kommt das „disruptive“ Arbeiten von ganz allein. Die Mitarbeitenden müssen intrinsisch motiviert sein. Das sollte man nicht vorgeben. Dann wird so ein Projekt zum Selbstläufer.

Herr Grunewald, herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!

Tiefere Einblicke in die Arbeit der Firma Grunewald gibt es am 24. März in dem Treffen der Robotik Fokusgruppe vor Ort im Unternehmen in Bocholt. Dort gibt es für KMU des produzierenden Gewerbes die Gelegenheit für den intensiven Erfahrungsaustausch untereinander zum Einsatz der Technologie – unabhängig vom aktuellen Kenntnisstand. 

Weiterführende Quellen:

Steil & Maier (2020): „Kollaborative Roboter: universale Werkzeuge in der digitalisierten und vernetzten Arbeitswelt.“
Franke (2019): „Handbuch Mensch-Roboter-Kollaboration. Carl Hanser Verlag GmbH Co KG.“
Kirchner et al. (2018): „Neue Formen der Wertschöpfung im digitalen Zeitalter.“


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