Stellen Sie sich vor, alle Interaktionen und Transaktionen mit Ihren Kunden und Lieferanten werden fälschungssicher festgehalten und in Echtzeit abgerechnet. Vertragliche Absprachen können Sie vorab festlegen und automatisiert ablaufen lassen. Traumhaft? So ungefähr lesen sich Berichte über Möglichkeiten der Blockchain. In Wertschöpfungsketten scheinen ganz neue Potenziale zur Zusammenarbeit möglich. Kein Wunder also, dass große Konzerne bereits auf diese Technologie setzen und Ihre Partner zunehmend über Blockchains und Smart Contracts in Lieferketten integrieren wollen.
Einer breiten Öffentlichkeit wurde die Blockchain-Technologie vor allem durch den globalen Erfolg der Kryptowährung „Bitcoin“ bekannt. Doch „Digitale Währung“ ist nur einer von zahlreichen Anwendungsfällen.
Laut der „Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik“ ist die Blockchain
„[…] eine verteilte, dezentrale Datenstruktur, die Transaktionen transparent, chronologisch und unveränderbar in einem Netzwerk speichert […].“ [LINK]
Dabei verwenden Blockchain-Systeme kryptographische Mechanismen zur netzwerkweiten Verifikation des Systemstatus. Anhand verschiedener Gestaltungsparameter lassen sich unterschiedliche Blockchain-Systeme implementieren, welche jeweils verschiedene, strukturbedingte Eigenschaften aufweisen.
Einfacher drückte es der Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Gilbert Fridgen beim Campus Talk der ARD im Dezember 2019 aus. Er vergleicht die Blockchain mit einem „schönen alten“ Notizbuch. Es gäbe aber einen Unterschied: Wenn einer etwas dort reinschriebt, tauche es bei allen anderen im Notizbuch ebenfalls auf und es sei sichergestellt, dass es im Nachhinein nicht mehr von irgendwem verändert werden kann [LINK].“
Der technologischen Komplexität folgt also eine ziemlich einfache Konsequenz: Transaktionen können digital und fälschungssicher in Echtzeit festgehalten werden. Nachvollziehbarkeit ist oder scheint gewährleistet. Und dies in einer Geschwindigkeit, die das Internet of Things fordert. Daraus ergeben sich für alle Wirtschaftsakteure gänzlich neue Chancen und Herausforderungen.
Die Chancen und Herausforderungen der Blockchain-Technologie für den Mittelstand hat der eco Verband der Internetwirtschaft e .V. in einem Whitepaper unter die Lupe genommen. Nach Meinung des Verbandes bieten über Blockchains vernetzte Wertschöpfungsketten das Potenzial, dass sich Unternehmen (noch besser als bisher) zusammenschließen und verlässlich, automatisiert und flexibel produzieren. Transaktionen sowie Austausch- und Abrechnungsprozesse geschehen automatisiert. Lieferketten und Produktionsdaten können zuverlässiger verfolgt werden [LINK].
Grenzen sieht der Verband der Internetwirtschaft insbesondere bei sensiblen und geschäftsrelevanten Daten mittelständischer Unternehmen, die nicht über öffentliche Blockchains geteilt werden sollten. Auch technische Restriktionen sind derzeit noch vorhanden. Dies betrifft vor allem die verfügbare Rechenleistung. Die Technologie stellt diesbezüglich hohe Ansprüche an die IT-Infrastruktur. Außerdem fehlten bis heute Standards, die Investitionssicherheit bei der Anschaffung geben.
Es ist jedoch fraglich, ob es KMU sind, die Standard setzen werden. Es sind eher Startups und seit neuestem „Schwergewichte“ – also große Konzerne – die laut dem Internetportal www.blockchain-insider.de den Blockchain-Markt beherrschen und das Potenzial erkannt haben. Letztere erhofften sich mit Hilfe der Blockchain-Technik als „Herzstück der Industrie 4.0 und […] Rückgrat der IoT-Revolution“ Wettbewerbsvorteile in den Lieferketten zu sichern [LINK].
In diesen Aussagen wird das erwartete disruptive Potenzial der Technologie deutlich. Kräfteverhältnisse in Lieferketten können sich verschieben: „Dem Mittelstand droht ein Verlust der Kontrolle über den eigenen Teil der Versorgungskette“ [LINK].
Dabei mangele es – so der Artikel – im Mittelstand nicht an Blockhain spezifischen Problemen. Vielmehr ergäben sich aber Probleme der Skalierbarkeit. Die Autoren sehen außerdem einen beständigen Fachkräftemangel und eine beschränkte Finanzierung als Hinderungsgründe bei neuen Blockchain-Projekten im Mittelstand.
Konkrete Potenziale der Blockchain-Technologie fasst ein Artikel auf T3N von Martin Lundborg (Begleitforschung des Förderschwerpunktes Mittelstand-Digital des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie) zusammen. Laut Meinung des Autors habe die Technologie die Fintech-Kinderstube bereits verlassen. Der Lebensmittelgigant Walmart könne – zumindest theoretisch – die Herkunft einer Mango dank Blockchain mittlerweile in zwei Sekunden anstatt in sechs Tagen zurückverfolgen.
Hintergrund ist das Potenzial der Technologie, das Lieferkettenmanagement zu revolutionieren. Und auch in weiteren Anwendungsszenarien werden die Potenziale deutlich. Genannt werden in dem Artikel der sichere betriebsübergreifender Austausch von Konstruktionsdaten sowie die automatisierte Transaktionsübermittlung mittels Smart Contracts und die Gestaltung kooperativer Geschäftsmodelle.
Als Beispiel nennt der Autor den Zusammenschluss von Maschinenbauern in Thüringen . Dort haben Unternehmen eine innovative Plattform entwickelt, über die sie sich gegenseitig Anlagenkapazitäten vermieten. Reichen die Kapazitäten eines beteiligten Betriebs nicht aus, teilt er den Partnern über die Plattform die Zahl der ihm fehlenden Maschinenstunden mit. Die anderen Betriebe können daraufhin freie Anlagenkapazitäten zur Verfügung stellen. Auftragsspitzen könnten so leichter bewältigt und nicht voll ausgelastete Maschinen optimal genutzt werden.
Die Blockchain-Technologie wirkt nach Einschätzung von Matin Lundborg dabei aber nicht nur als technologischer Enabler.
„Solche kooperativen Geschäftsmodelle scheitern [..] in vielen Fällen am fehlenden Vertrauen zwischen potenziellen Partnern. Mit der Blockchain-Technologie kann diesem Vertrauensproblem entgegengewirkt und der Weg für neue Kooperationen geebnet werden“ [LINK].
Wo wir heute bei der Blockchain-Technologie stehen, werden wir erst in ein paar Jahren sagen können. Der Kreativität bei der Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen für KMU auf Basis der Blockchain-Technologie dürften dabei keine Grenzen gesetzt werden. Anregungen ergeben sich – wie bei vielen anderen erfolgreichen Entwicklungen– aus Cross-Innovation Ansätzen. Als Anregung lohnt sich daher ein Blick auf Anwendungsfälle die laut dem Magazin IM+io derzeit in der Literatur diskutiert werden [LINK].
- Bezahlung durch Transaktion von Währungs-Tokens (Ripple),
- Individuelle Informationsverwaltung, mittels derer Informationen aggregiert, gespeichert und durch den Besitzer verwaltet werden. Dabei dient die Blockchain als Verzeichnis (Patientenakte),
- Transaktionshistorie mit Informationen über Objekte oder deren Referenzen, etwa bzgl. Existenz, Eigentum oder Transaktionsdatum (Kataster, Car Sharing, Supply Chain),
- Kommunikation: Dabei werden Inhalte dezentral verwaltet werden. Dies befördert den Datenschutz befördert und schränkt die Macht des Kommunikationsintermediärs ein,
- Ergebnisbasierte, automatisierte Transaktionen. Für Ereignisse werden unterschiedlichste Vertragsbedingungen hinterlegt (Smart Contracts). Diese werden bei Eintreten automatisiert ausgeführt (Versicherung),
- Transaktionsmediär, zur Vermittlung von Partnern, der Erfassung, Überwachung und Abwicklung von Vereinbarungen sowie möglicher Schlichtung bei Rückabwicklungen (Strommarkt) und
- Communitymanager, bei welchem Algorithmen die Koordination gleichgestellter Akteure so regeln, dass Kooperationsregeln erfasst, aber nur gemeinschaftlich geändert werden können (DAO, decentral autonomous organization).
Es wird keine Frage des „Groß oder Klein“, welche Unternehmen die Blockochain-Technologie für sich nutzen werden. Es wird eine Frage des „Wollens und Gestaltens“. Die Potenziale für erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle auf Basis der Blockchain-Technologie für KMU sind da.