Anwenderbericht

Paradigmenwechsel durch Robotik: Von „Person zur Ware“ zu „Ware zur Person“

Interview mit Jörg Venker, Leiter Corporate Logistics bei TECE GmbH
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„Neugier schafft Innovation“ – getreu diesem Motto entwickelt die TECE GmbH, ein global tätiger Hersteller von Sanitärprodukten und Installationssystemen innovative Produkte und Lösungen nahe am Bedarf der Kunden. Das neueste Projekt der Emsdettener: Ein innovatives und automatisiertes Kleinteilelager, das über das neue Konzept „Ware zur Person“ die Grundlage für schnelleres Wachstum und gesteigerte Effizienz mit sich bringen soll. Jörg Venker, Leiter Corporate Logistics bei der TECE GmbH, spricht mit dem Digitalradar MünsterLAND darüber, welche Faktoren das erfolgreiche Innovationsmanagement seines Projektteams begünstigten.

Herr Venker, TECE ist ein Herstellungsunternehmen im Heizungs- und Sanitärbereich. Wieso hat Innovation für TECE so einen großen Stellenwert?

Die Position im Markt und der Stellenwert, den wir als Anbieter für unsere Kunden haben, sind eng mit Innovationen verbunden. Dieser permanente Innovationsprozess der Organisation bedarf einer Plattform und einer gewissen Arbeitsumgebung. Deshalb entstehen in Emsdetten gerade ein Campus und ein „Innovations-Labor“ namens InnoLab. In diesem haben wir viel Platz für kreativ-Workshops, Werkstätten zum Tüfteln und Ausprobieren, sowie mehrere 3D-Drucker, um auch schnell mal etwas auszudrucken und ein erstes Ansichtsmodell zu haben. Der direkte Kundenkontakt ist uns in der Entwicklung besonders wichtig. Bei ganz neuen Dingen können wir jetzt erste Probeinstallationen direkt vor Ort durchführen.

Warum Innovation nicht nur in der Produktentwicklung wichtig ist, sondern auch bei internen Strukturen und Prozessen, zeigt sich an der Einführung des automatisierten Kleinteilelagers. Welche Faktoren haben Sie zu der Installation veranlasst?

TECE betreibt mittlerweile fünf Werke und zwei Distributionszentren – eins davon hier in Emsdetten, wo wir jetzt das AutoStore-System integriert haben. Dort lagern viele Produkte, teilweise auch in eher geringen Stückzahlen, die nicht jeden Tag gebraucht werden. Diese beanspruchten im alten Lagersystem aber leider den gleichen Platz wie Produkte, die täglich benötigt werden und sich häufig „drehen“. Das hat zur Folge, dass die Auslastung im Lager – gefördert durch ein wachsendes Produktportfolio – dramatisch angestiegen ist. Im Regelfall sollte man ein Lager nur bis zu ca. 85 Prozent auslasten, damit es noch effizient zu bewirtschaften ist. Bei unserem aktuellen Wachstum wäre das bald nicht mehr der Fall gewesen.

Lassen Sie mich diese Thematik konkretisieren: Als wir 2019 in Polen ein zweites Distributionszentrum als neues Lager eröffnet haben, standen uns zusätzliche 6.500 Europalettenstellplätze zur Verfügung. Das klingt nach viel Platz, der allerdings in Emsdetten nicht vollumfänglich den erwarteten Entlastungseffekt gebracht hat. Wir mussten bei der Suche nach der Ursache feststellen, dass in Emsdetten sehr viele Paletten nicht optimal ausgelastet waren: So gab es oft nur eine Kiste mit einem Kleinteil, die einen kompletten Stellplatz beanspruchte. Und genau das war einer der Hauptreiber, weshalb wir uns mit der Einführung eines neuen Kleinteilelagers beschäftigt haben.

Nach Einführung des AutoStore: Das aktuell ideal ausgelastete Lager.

Wie haben Sie sich dann intern strukturiert, um das Projekt anzugehen?

Bei TECE leitet jedes Projekt ein eigener, explizit verantwortlicher Projektleiter, der auf die Methoden- und Toolbox des TECE Projektmanagements zugreift. Für das neue Kleinteilelager war der stellvertretende Leiter der Logistikabteilung zuständig. Er hat das Gesamtprojekt in drei Teilprojekte differenziert. Das „physische“ Bau-Teilprojekt hat ein Kollege aus dem Bereich Facility/Maintenance verantwortet. Die Teilprojekte Lagertechnik und Anbindung des LVS nahm der stellvertretende Logistikleiter selbst in die Hand, einerseits in Bezug auf die zu schaffende Lagerinfrastruktur für die Ver- und Entsorgung sowie die Dimensionierung des Autostore und die Einbindung in die vorhandene Prozesslandschaft und andererseits in Bezug auf die Schnittstellen zu unserem Lagerverwaltungssystem. Entscheidend für das Gelingen war ein gutes und straffes Zusammenspiel aller Projektbeteiligten, u. a. in Teamsitzungen oder im Zuge der sogenannten Steering Committee Meetings für das Reporting an die Sponsoren des Projekts. Zusätzlich gab es externe Unterstützung durch unsere Dienstleister, die systematisch in das Projekt eingebunden waren.

Wie sind Sie bei der Suche nach externen Partnern und Dienstleistern vorgegangen?

Wir haben den Markt geprüft und sind relativ schnell auf das AutoStore-System gestoßen, das unseren Anforderungen sehr gut entsprach. Es bietet den großen Vorteil, dass es direkt in den Bestand integrierbar ist und wir daher kein neues Gebäude bauen mussten. Es ist außerdem skalierbar und um weitere Lagerplätze erweiterbar, ohne den laufenden Betrieb zu stören. Obendrein ist das AutoStore-System sehr „nachhaltig“, da es im Betrieb mit einer Leistung von 2.500 Watt sehr energieeffizient läuft.

Im ersten Schritt haben wir uns näher mit den Rahmenbedingungen für die saubere Integration in das gesamte Lagersystem beschäftigt. Zu diesem Zweck wurden z. B. im Vorfeld das AutoStore-System der Firma Gautzsch in Münster besichtigt und Erfahrungen hinterfragt. Anschließend wurde der Markt auf Anbieter und Dienstleister sondiert und schlussendlich sechs mögliche Vertriebspartner gefunden. Den Zuschlag bekam die Firma Element Logic. Hier hatten wir einen Partner an unserer Seite, der die AutoStore-Lösung für uns komplett konzipiert und vollständig implementiert hat. Im Mai 2021 begannen wir mit der Umsetzung und bereits im August konnten wir das System in Betrieb nehmen.

Wie haben Sie die Mitarbeitenden in diesen Prozess mit einbezogen? Sind Sie auf Skepsis oder Vorbehalte bezüglich des Automatisierungsprozesses gestoßen?

Am Anfang war die Skepsis recht groß: „Wo soll der Mehrwert herkommen?“ „Werden wir alle entlassen?“ – so lauteten die Fragen, mit denen wir zunächst konfrontiert wurden. Um unsere Kollegen mit ihren berechtigten Sorgen nicht allein zu lassen, haben wir uns für eine proaktive und transparente Kommunikation entschieden, um alle offenen Fragen zu klären und so Vertrauen in die neue Lösung aufzubauen. Auf diese Weise konnten wir schnell klar machen, dass es bei dem Projekt nicht darum ging, Personal abzubauen, sondern die logistischen Prozesse von TECE insgesamt viel effizienter und noch leistungsfähiger zu machen.

Die Ebenen der Schichtleiter und des Leitstandes haben den Umgang mit dem AutoStore-System als erstes gelernt. So konnten sie als Multiplikatoren wirken. Dann kamen Probeläufe am „lebenden Objekt“. Die waren uns sehr wichtig, denn wir brauchten den direkten Input, das Feedback von den Betroffenen, die wir auf diese Weise übrigens zu Beteiligten machen konnten. Auch das war wichtige Kommunikationsarbeit.

Jetzt ist das System seit etwa fünf Monaten in Betrieb. Bemerken Sie schon Verbesserungen in den Betriebsabläufen?

Schon jetzt können wir ganz klar sagen, dass wir Platz und Effizienz gewonnen haben. Und wir konnten einen echten Paradigmenwechsel vollziehen: von „Person zur Ware“ zu „Ware zur Person“. Ende Juli waren wir noch bei einer Auslastung von fast 95 Prozent – das Lager war „richtig voll“. Und auch unser Außenlager wurde schon massiv angefahren. Aktuell entspannt sich die Lage mit einer Auslastung von 75 Prozent. Wir merken also jetzt schon, dass wir schneller geworden sind und mit kurzfristigen Aufträgen flexibler umgehen und dass wir auch größere Stückzahlen an Lieferpositionen bedienen können.

Und das System ist noch skalierbar, wenn Sie weiterwachsen?

Ja, absolut. Die Grundstruktur besteht aus einem Aluminium-Grid und kann individuell angepasst werden. Das automatisierte Kleinteilelager steht aktuell in einer Halle, die glücklicherweise bereits vorhanden war und somit kurzfristig zur Verfügung stand. Sobald die Bodenplatte vorbereitet und geebnet ist, ist es kein Problem mehr, eine weitere Einheit zum aktuellen AutoStore hinzuzufügen. Den laufenden Betrieb würde das nicht stören. Die beiden Teilsysteme können dann nach dem Aufbau leicht miteinander verbunden werden.

AutoStore bei TECE (links) mit vier Kommissionierungsports.

Haben Sie Tipps oder Ratschläge für andere Unternehmen, die solche Prozesse automatisieren wollen?

Kommunizieren und planen Sie vergleichbare Projekte im Vorfeld sehr sauber! Prüfen Sie ihr gesamtes Sortiment und führen Sie mit dem System entsprechende Simulationen durch!

Wir haben genau das im Vorfeld sehr intensiv getan, um dann an einem Wochenende im August sortimentsweise mit der Umlagerung beginnen zu können. Viele Länder in Europa, aus denen unsere Zulieferer stammen, hatten im August aber geschlossen. Also mussten wir vorab große Bestände aufbauen, damit wir unsere Kunden trotzdem noch bedienen konnten. Das Lager war dementsprechend stark ausgelastet. Mittlerweile ist die Situation deutlich entspannter, außerdem konnten wir auf diese Weise wichtige Erfahrungswerte sammeln.

Hat TECE noch weitere Innovationen geplant in dem Bereich?

Es gibt im Bereich Logistik und Produktion weitere Projektideen und Ansätze, die sich eigentlich alle um eine weitere Effizienzsteigerung und Flexibilisierung drehen, ohne gleich von einer „Dark Factory“ zu sprechen, wo alle Prozesse völlig automatisiert laufen. Das ist sicher noch Zukunftsmusik und in Bezug auf die Vielfalt der TECE-Produkte und genutzte Technologien und Werkstoffe kein explizites Ziel. Für uns bedeutet es dennoch: Wir wollen weiter innovativ und noch effizienter sein, um die Geschwindigkeit und die Qualität hochzuhalten.

Grundsätzlich haben wir eine Schublade voll mit Projekten, die alle betreut werden wollen. Das Projektteam muss aber Zeit dafür haben, an diesen Dingen konzentriert arbeiten zu können. An einer klaren Priorisierung führt also kein Weg vorbei, und jetzt bringen wir erst einmal die angefangenen Themen erfolgreich zu Ende.

Interviewpartner Jörg Venker und DigiTrans@KMU Mitarbeiterin Kim Kemper vor dem AutoStore.

Herr Venker, herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!

Für KMU des produzierenden Gewerbes gibt es in unseren Robotik Fokusgruppen die Gelegenheit für den intensiven Erfahrungsaustausch untereinander zum Einsatz der Technologie – unabhängig vom aktuellen Kenntnisstand.

Bildnachweise:

Fotos aufgenommen von Marie Lechtenberg.

 

Weiterführende Quellen:

Rickert, M., & Perzylo, A. (2016). „Industrieroboter für KMU: Flexible und intuitive Prozessbeschreibung.“ Industrie Management32(2), 46-49.

Galka, S. (2020). „AutoStore-was Nutzer über das System berichten können.“

Franke, J., & Schuderer, P. (2021). „Simulationsbasierte Untersuchung der Grenzproduktivität von Robotern in einem AutoStore-Lagersystem.“ Simulation in Produktion und Logistik 2021: Erlangen, 15.-17. September 2021, 197.

Mehr über das InnoLab bei TECE: https://www.tece.com/de/magazin/events/grundsteinlegung-bei-tece

 


Autor Kim Kemper


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