Robotik

Roboter zum Anziehen? Exoskelette in der Industrie zwischen Iron Man und Ernüchterung

Dieser Potenzialbericht wurde gemeinschaftlich von Carsten Feldmann, Victor Kaupe, Martin Lucas geschrieben.
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Was sind Exoskelette?

Der Einsatz von Exoskeletten in der industriellen Produktion und Logistik erhält zunehmend Aufmerksamkeit in den Medien. Einige Journalisten sehen bereits „Iron Man“ im Arbeitseinsatz am Fließband oder im Hochregallager. Exoskelette sind mechanische Strukturen, die am menschlichen Körper getragen werden, um das Muskel-Skelett-System des Trägers bei bestimmten Bewegungen und Haltungen zu unterstützen. Sie verbessern die Ergonomie beispielsweise beim Heben und Tragen von Gütern oder der Überkopf-Montage, indem sie Arme, Beine oder Rumpf (unter)stützen. Es lassen sich passive und aktive Exoskelette unterscheiden. Passive Exoskelette stützen den Träger durch mechanische Hilfsmittel wie eine Feder oder ein Kabel, die wie ein Gegengewicht auftretende Belastungen aufnehmen und so in Energie zur Unterstützung einer Haltung oder einer Bewegung umwandeln. Aktive Exoskelette („tragbare Robotik“) unterstützen über Sensoren und Aktoren wie Elektromotoren oder pneumatische Systeme bestimmte Körperhaltungen und Bewegungen durch externe Kräfte. Die technische Entwicklung ist nicht neu und stammt aus dem militärischen Bereich zum Transportieren von schweren Lasten durch Infanteristen und der Medizintechnik zur Rehabilitation mittels Orthesen, die erkrankte Gliedmaßen stabilisieren. Die Anwendung von Exoskeletten im industriellen Umfeld ist jedoch noch relativ jung.

Die verschiedenen Typen von Exoskeletten sind vielfältig (vgl. Abbildung). Einige unterstützen nur ein Körperteil wie etwa Handschuhe, die mit Drucksensoren und Aktoren menschliche Nerven und Muskeln nachahmen. Solche Handschuhe können die Kraft eines Monteurs zum Halten eines Werkzeugs um die Hälfte reduzieren. Ebenso können Exoskelette Arme aufweisen, welche die Schwerkraft ausgleichen. Auch zusätzliche „Gliedmaße“ und „stuhllose Stühle“ zählen zu den Exoskeletten. Andere Typen unterstützen Schultern, Rücken und Beine. Teilweise sind diese modular aufgebaut und werden zusammen als Ganzkörper-Exoskelett getragen.

Beispielhafte Typen von Exoskeletten (Fox et al., 2019)

Aktive Exoskelette mit Antriebstechnik für höhere Arbeitsbelastungen umfassen zumeist Batterien, Sensoren, Aktoren und Motoren, die eine Gerüststruktur verbindet. Sensoren erkennen beispielsweise eine Bewegung des Arbeiters und senden Steuerungssignale an den Motor, um den Rücken zu stützen. Aktive Exoskelette lassen sich als „tragbare Robotik“ bezeichnen, wenn sie den menschlichen Körper durch motorisierte Arme und/oder angetriebene Beine gleichsam verlängern. Der Träger kann diese zusätzlichen „Gliedmaßen“ beispielsweise zum Bearbeiten von Werkstücken steuern.

Welchen Nutzen stiften Exoskelette?

Als Assistenzsysteme zielen industrielle Exoskelette auf die Ergonomie der Arbeit und können so potenziell den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und ihre Arbeitsleistung verbessern. Ergonomische Vorteile für die Arbeitnehmer sind beispielsweise verbesserte Kraft und Ausdauer, geringere körperliche Belastung, weniger Erkrankungen des Bewegungsapparats und arbeitsbedingte Verletzungen. So können Exoskelette zu einer Verringerung der Krankheitstage führen. Ebenso können Exoskelette Arbeitnehmern, die körperliche Einschränkungen haben oder sich im Prozess beruflichen Wiedereingliederung befinden, helfen.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann die durch Exoskelette verbesserte Ergonomie zu erhöhter Produktivität, niedrigeren Kosten, höherer Qualität und größerer Flexibilität führen. Allerdings ist der Verbreitungsgrad in Unternehmen relativ gering. Zum einen gibt es bisher kein erprobtes Vorgehensmodell, das Praktikern bei der Implementierung von Exoskeletten in intralogistische Prozesse helfen kann. Zum anderen ist das Investitionsvolumen insbesondere bei Exoskeletten relativ hoch. Drei Hauptfaktoren werden die bisher geringe Verbreitung von Exoskeletten fördern: Erstens führt der demografische Wandel zu einer älteren Belegschaft und Arbeitskräftemangel. Zweitens führen monotone, sich wiederholende Bewegungen und Haltungsbelastungen zu Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems. Diese verursachen 22 % aller Krankheitstage in Deutschland (Meyer et al., 2019). Drittens ist der Anteil manueller Arbeit, insbesondere in der der Intralogistik, in vielen Unternehmen relativ hoch. Zwar gibt es einen Trend zur fortschreitenden Automatisierung von Prozessen und Arbeitsplätzen. Allerdings lässt sich nicht jede menschliche Arbeit ohne weiteres durch Technik ersetzen, wenn der Platz begrenzt ist oder die Arbeit komplexe Gesten, Fingerfertigkeit oder präzises Greifen erfordert. Darüber hinaus sind die Kosten von Automatisierungslösungen im Vergleich zu den Kosten menschlicher Arbeitskraft oft hoch.

Welche Einsatzszenarien gibt es?

Exoskelette sind eine interessante Technologie für Unternehmen im Handel und im produzierenden Gewerbe, insbesondere für die (Intra-)Logistik und die Fertigung. Generell können Exoskelette an Arbeitsplätzen die Ergonomie verbessern, die durch (monotone, sich wiederholende) Bewegungen oder Haltungen gekennzeichnet sind, die eine körperliche Belastung der Arbeitnehmer verursachen, etwa beim Heben oder Senken von schweren Lasten. Es sollte ausreichend Platz vorhanden sein und sicherheitsrelevante Arbeitsschutzanforderungen sind zu erfüllen.

Das Institut für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD) der FH Münster hat im Rahmen eines Forschungsprojekts zusammen mit zwei Unternehmen einen branchenübergreifenden Leitfaden zur Implementierung von Exoskeletten für Praktiker entwickelt. Eine skandinavische Möbelhauskette mit weltweiten Vertriebsnetzen und ein Hersteller für Beschichtungen für die Automobilindustrie haben dafür verschiedene Szenarien mit Exoskeletten getestet. Die größten Barrieren für einen positiven betriebswirtschaftlichen Effekt sind die Akzeptanz der Mitarbeiter, Wechseltätigkeiten und lange Laufwege. Im Rahmen der Pilotversuche kam es beispielsweise zu abwertenden Kommentaren im Hinblick auf den vermuteten Gesundheitszustand und das Erscheinungsbild der Mitarbeiter („RoboCop“). Intralogistik ist vielfach durch den Wechsel von Tätigkeiten wie Packen und Staplerfahren gekennzeichnet, die durch die teilweise sperrigen Dimensionen der Exoskelette behindert wurden. Gewicht und Größe der Exoskelette haben den Nutzen ebenso bei langen Laufwegen eingeschränkt.

Was lässt sich als Fazit ziehen?

Eine alternde Belegschaft und Fachkräftemangel in Produktion und Logistik sind Entwicklungen, die viele Branchen kennzeichnen. Bisher gibt es verschiedene Pilot-Anwendungen, insbesondere in der Automobilfertigung, allerdings sind Exoskelette bisher noch nicht weit verbreitet. Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie an und handelt: Eine erfolgreiche Implementierung von Exoskeletten hat das Potenzial, arbeitsbedingte Verletzungen durch körperliche Belastung zu verhindern und die wirtschaftliche Effizienz in intralogistischen Prozessen zu erhöhen. Dies gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, die eine Investition in alternative Automatisierungslösungen und Robotik scheuen.

Quellen

  • Feldmann, C., Kaupe, V. und Lucas, M. (2020). A Procedural Model for Exoskeleton Implementation in Intralogistics, HICL 2020 – Hamburg International Conference of Logistics (under review).
  • Fox, S., Aranko, O., Heilala, J. und Vahala, P. (2019). Exoskeletons: Comprehensive, comparative and critical analyses of their potential to improve manufacturing performance. Journal of Manufacturing Technology Management
  • Meyer, M., Maisuradze, M. und Schenkel, A. (2019). Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2018–Überblick. In Fehlzeiten-Report 2019, pp. 413-477. Berlin, Heidelberg: Springer.

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