Anwenderbericht

Augmented Reality im Kundenservice: Erfahrungswerte eines Maschinenbauers

Im Gespräch mit Alwin Keiten-Schmitz und Mathieu Geuting von der Firma Spaleck Oberflächentechnik GmbH & Co. KG aus Bocholt
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Das Unternehmen Spaleck Oberflächentechnik GmbH & Co. KG mit ca. 100 Beschäftigten ist Hersteller von Maschinen und Anlagen für die Gleitschleiftechnik und bietet kundenindividuelle Verfahren zur Oberflächenbearbeitung. „Kundenindividuell“ bedeutet auch, dass der Service einen besonderen Stellenwert einnimmt. Im Gespräch mit dem Digitalradar münsterLAND berichten Geschäftsführer Alwin Keiten-Schmitz und IT-Leiter Mathieu Geuting, wie das Unternehmen im Zuge eines Digitalisierungsprojektes sein Serviceangebot durch den Einsatz von Virtual Reality und Augmented Reality erweitern konnte.

Neuer Raum, neue Ideen – das galt für das Team von Spaleck Oberflächentechnik (SPOT) als das Unternehmen 2017 neue Räumlichkeiten in Bocholt bezog. Durch die Möglichkeit, Prozesse komplett neu zu gestalten, wurde auch über Digitalisierungspotenziale nachgedacht. 2018 hat sich das Unternehmen für das FlexDeMo Forschungsprojekt mit der Westfälischen Hochschule beworben, welches sich mit der Zukunft der Arbeit in mittelständischen Unternehmen beschäftigt und der Digitalisierung im Betrieb einen strategischen Schub verlieh. „FlexDeMo“ steht als Kurzform für „Flexible und demografierobuste Montageorganisationsformen partizipativ planen, simulieren und gestalten“.

Zu Beginn des Projekts wurde eine Bestandsaufnahme in Form eines IT-Steckbriefs erstellt, die sowohl Stärken als auch Verbesserungspotenziale aufzeigte. Aus dieser initialen Ist-Aufnahme unter einem partizipativen stark mitarbeiterbezogenen Ansatz entstanden daraufhin mehrere Digitalisierungsprojekte. Dabei setzte sich das Unternehmen mit diversen Innovationsmöglichkeiten und modernen Technologien auseinander.

Auf das Thema Virtual Reality (VR) ist das Unternehmen zum ersten Mal bei einem Kundentag des CAD-Dienstleisters gestoßen. Nach anfänglicher Zurückhaltung wurde das Potenzial dieser Technologie für Marketingzwecke schnell erkannt. So wurde die Idee geboren, große Anlagen VR-technisch aufzubereiten, um den Kunden einen anderen Eindruck von diesen zu vermitteln oder Prototypen im Hinblick auf menschliche Bedienung im VR-Raum zu testen.

Für den Einsatz der Technologie Augmented Reality (AR) war die Pandemie der Haupttreiber: „Anlagen konnten auf einmal aufgrund der Reisebeschränkungen nicht mehr beim Kunden vor Ort aufgebaut werden. Wir haben beispielsweise eine fertige Anlage für einen US-Amerikanischen Kunden gehabt, die hätte abgenommen werden sollen“, erinnert sich Mathieu Geuting.  Auf der Suche nach Alternativen wurde zunächst testweise eine Microsoft Hololens-Brille bestellt. „Wir haben möglichst geschäftsfertige Anwendungen gesucht. Die Hololens-Lösung beinhaltet nicht nur die Brille, sondern ein fertiges Konzept mit dazugehörigen Anwendungen in der Office 365 Cloud mit Microsoft Remote Assist und Microsoft Guides.“ Der Vorteil dieser Lösung sei eine sehr kurze Implementierungszeit, die besonders empfehlenswert sei, wenn nur geringe zeitliche Ressourcen zur Einführung zur Verfügung stehen. Der Nachteil: die Lösung sei eher hochpreisig.

Damit die virtuellen Endabnahmen mithilfe der AR-Technologie reibungslos funktionieren, werden sie im Team durchgeführt: „Es gibt einen Moderator für die Microsoft Teams-Videokonferenz, einen Maschinenbediener, der sich komplett auf die Anlage und jegliche Fehlermeldungen konzentrieren kann, und eine dritte Person, die die Hololens-Brille trägt und das Bild übermittelt. Auf diese Art und Weise findet die Endabnahme relativ flüssig statt.“

Remote-Assistenz für Kunden durch technische Experten bei Spaleck Oberflächentechnik.

Das Kundenfeedback auf das virtuelle Serviceangebot ist insgesamt positiv ausgefallen: „Die Technologie wurde als funktionierende technische Hilfe in Pandemiezeiten wahrgenommen.“

Aufgrund der Tatsache, dass davor keine Berührungspunkte zu dieser Technik vorhanden waren und die Hologramm-Bedienung zunächst sehr fremd erscheint, gab es bei einigen Mitarbeitern im Unternehmen zunächst Bedenken. Nachdem sie sich etwas Zeit genommen haben, um sich mit dem Produkt vertraut zu machen und durch die spielerische Auseinandersetzung mit der Technologie wurden die Vorteile jedoch bald erkannt.

Herausfordernd beim AR-Einsatz stellte sich indes die Verfügbarkeit von WLAN beim Kunden und die Verbindung zu den Microsoft-Servern zu Beginn der Pandemie dar.

Ingo Löken bei einer vertrieblichen Präsentation im VR-Raum der Firma.

Bislang hat sich mit dem Einsatz von Augmented Reality noch kein konkretes Geschäftsmodell herauskristallisiert, da die Technologie hauptsächlich für Ad-Hoc-Einsätze und ohne standardisierten Prozess genutzt wird. Die Professionalisierung des AR-Services, seine Monetarisierung, die Verankerung in Wartungsverträgen sowie der gesamtheitliche Aufbau des Geschäftsmodells stehen noch bevor.

„Es war letztes Jahr vorrangig, überhaupt die Technologie zu haben, die Technik einzuführen und zu beherrschen, mit der pandemischen Lage umzugehen und Endabnahmen machen zu können, um so den Kunden eine Beratung zukommen zu lassen über WeChat und WhatsApp hinaus. Wir haben uns auf den Weg gemacht, und es wird eine Aufgabe sein, dieses Geschäftsmodell konkret als Idee zu modellieren und zu formulieren.“

Eine konkrete Aufgabe wird es laut Alwin Keiten-Schmitz sein, Argumente zu finden, um mit der Technik der AR-Brille die gleiche Rendite zu generieren, die bisher mit klassischen Services vor Ort beim Kunden erzielt worden ist. Hierbei stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die Dienstleistung der Inbetriebnahme entlohnt wird, wenn der Service-Techniker nicht mehr direkt beim Kunden sein wird, sondern mit einer AR-Brille in seinem Büro. Wird sich das möglicherweise auf die Zahlungsbereitschaft des Kunden auswirken? „Tolle Technik, keine Frage, es darf aber nicht zum Nachteil des Anbieters werden, wenn es um Rendite geht“, fügt Keiten-Schmitz hinzu.

Im Unternehmen gibt es grundsätzliches Interesse an der weiteren Zusammenarbeit mit Hochschulen, um den Technologie-Einsatz aber auch die Ermittlung von funktionierenden Geschäftsmodellen weiter voranzutreiben. Die bisherige Zusammenarbeit mit der Westfälischen Hochschule hätte eine sehr positive Eigendynamik entwickelt:

„Ich sehe sehr positive Nebeneffekte für uns, unabhängig von den Fördergeldern. Es geht nicht nur um das reine Projekt, es geht um das Networking, sich breiter aufstellen, Bekanntheitsgrad erhöhen, Möglichkeiten bekommen, mit zukünftigen Mitarbeitern die ersten Kontakte zu knüpfen und dann wieder zu entscheiden – passt es oder passt es nicht für uns? Wir sind durch die Zusammenarbeit mit Fachhochschulen für die Zukunft sehr gut aufgestellt.“

Die Interviewpartner raten anderen Unternehmen, die ein AR- oder VR-Pilotprojekt umsetzen möchten, sich früh in Zeiten ohne Krise mit der Technologie spielerisch auseinanderzusetzen, im Idealfall mit einem starken Partner (z. B. Hochschule), um das Potenzial gemeinsam mit den Mitarbeitern zu erkennen und für sich zu bewerten. Dabei sollte man junge, technisch interessierte und begeisterte Mitarbeiter mit erfahreneren sprechen lassen, um auf dieser Grundlage Ideen für den Einsatz von neuen Technologien zu generieren.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

 

Bildnachweise:

Photos by SPALECK Oberflächentechnik

Weitführende Quellen:

Feldmann, Grothus , Thesing, (2021): „Digitale Geschäftsmodell-Innovation mit Augmented Reality und Virtual Reality“
Hier geht’s zum Projekt FlexDeMo: https://www.flexdemo.eu/

 

 



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