Die SAUERESSIG Group gehört zur Matthews International Corporation und ist ein internationaler Anbieter von Dienstleistungen entlang der Druckvorstufe sowie von Rotationswerkzeugen für Tiefdruck- und Prägeanwendungen, Flexodruck und Sondermaschinenbau. Das Unternehmen vereint dabei Kompetenzen aus den Bereichen Design, Color-Management, Reproduktion, Walzen- und Stahlkernfertigung und mehr. Die Abstimmung von Ideen und Designs erforderte bislang viel Kommunikation und den physischen Versand von Mustern. Im Interview berichtet André Grothus, Technical Manager VR | e.GEN, wie die digitale Farb- und Designkommunikation mittels Virtual Reality in eine kontrollierbare virtuelle Umgebung überführt wurde.
Herr Grothus, seit wann beschäftigt sich die Saueressig Group mit der Virtual Reality Technologie und was waren die damaligen Beweggründe dafür?
Entsprechend unserem Angebot beschäftigen wir uns vor allem damit, Ideen und Designs in die Realität zu überführen und beginnen dabei mit digitalen Informationen. Leider ist die Schnittstelle Digital – Real nicht immer einfach umzusetzen und erfordert auf bisherigem Weg das Versenden einer ganzen Reihe von Proofs und/oder physischen Besuchen und eine Menge Kommunikation. Das ist deshalb notwendig, um eine gemeinsame Verständigungsbasis der mit unseren Prozessen und Werkzeugen erreichbaren Farben und Strukturen zu schaffen sowie um unseren Kunden Sicherheit geben zu können, dass ihre Ideen und Designs entsprechend ihren Vorstellungen in die Realität umgesetzt werden.
Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde uns und unseren Kunden deutlich, dass neue Möglichkeiten der Kommunikation nötig sind. Internationale Reisen waren nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich und vielen wurde aus anderen Kontexten deutlich, dass auch digitale Kommunikation funktionieren kann. Zudem ist aufgrund einer zunehmend schnell agierenden Geschäftswelt die Time-To-Market äußerst wichtig.
Die SAUERESSIG Group beschäftigt sich bereits seit längerer Zeit mit der Virtual Reality Technologie. Das Evaluieren der verschiedenen Potenziale wurde jedoch aufgrund der Corona-Pandemie noch einmal beschleunigt. Es begann Ende 2020 mit einer Idee, die digitale Farb- und Designkommunikation in eine kontrollierbare virtuelle Umgebung zu überführen. Dies ermöglicht von außen störende Einflussfaktoren bei einer Farbbewertung – wie beispielsweise Tageslicht zu unterschiedlichen Tageszeiten und künstliches Licht – so gut wie möglich auszuschließen. Virtual Reality Brillen schließen das Tageslicht praktischerweise fast komplett aus und eliminieren somit eine Variable, welche Bewertungen im Vergleich zur Betrachtung auf herkömmlichen Displays maßgeblich erschwert. Darüber hinaus sahen wir immer mehr VR-Anwendungen auf dem Markt, die unser Interesse weckten und uns zum Experimentieren anregten.
So begannen wir niederschwellig mit einem Forschungsprojekt gemeinsam mit der Fachhochschule Münster und dem Institut für Prozessmanagement und digitale Transformation. Die Ergebnisse, welche für uns ein Proof of Concept darstellten, überzeugten uns, sodass wir dieses Projekt fortführen und erweitern wollten.
Wie sieht die konkrete VR-Anwendung, bzw. der Use Case aus?
n.LIGHT, so heißt unser Produkt, befindet sich zurzeit noch in einer frühen Phase der Entwicklung. Im Prinzip entwickeln wir gemeinsam mit unserem Entwicklungspartner, welcher erfahren in der Entwicklung von VR-Anwendungen ist, ein Kollaborationstool, das unseren speziellen Anforderungen einer farbechten Designkommunikation von dekorativen Oberflächen aber auch Verpackungen gerecht wird. Unsere interaktive Virtual-Reality-Lösung hilft Marketingagenturen, Verpackungsexperten und Oberflächendesignern, bereits in der Design- und Druckvorstufe Entscheidungssicherheit zu geben. Individuelle, effiziente und gleichzeitig dezentrale Designberatungen, Qualitätskontrollen und Endabnahmen der Verpackungs- und Oberflächendesigns können so durchgeführt werden – alles in einem kundenspezifischen Portal und rein digital.
Dabei haben wir einerseits die komplette Kontrolle über Art der Präsentation im virtuellen Raum und können zudem Abstimmungsprozesse mithilfe einer Multi-User-Erfahrung unterstützen und uns selbst einwählen, um zu beratend zur Seite zu stehen. Also im Prinzip unsere eigene kleine Version eines Metaverse.
Teaservideo für n.Light, die VR-Anwendung der SAUERESSIG Group. (Quelle: SAUERESSIG Group)
Mit welcher VR-Software und Hardware haben Sie bereits Erfahrungen gesammelt und wie lautet Ihr Fazit dazu?
Wir haben während des Auswahlprozesses der geeigneten VR-Hardware viele verschiedene VR-Headsets auf „Herz und Nieren“ geprüft. Für uns war einerseits wichtig, ein Headset auszuwählen, welches uns einen größtmöglichen Farbraum bei hoher Auflösung ermöglicht und andererseits ohne externe Trackingsysteme auskommt. Dabei gilt zu beachten, dass Stand-Alone-Geräte bisher nicht die optische Qualität liefern können wie kabelgebundene Geräte. Letztere haben jedoch den Nachteil, eben einen Rechner und ein verbindendes Kabel zu benötigen.
Was im B2C beim Verkauf und Einsatz von VR meiner Ansicht nach deutlich wurde, zeigt sich auch in unserem B2B Geschäft: Kunden wollen nicht umständlich Basisstationen aufstellen bzw. festmontieren, einen Bereich eingrenzen und eine relativ aufwendige Kalibrierung des Raums vornehmen, um die VR Anwendung zu nutzen. Sie wollen direkt starten und eine niedrige Hürde – bestmöglich überhaupt keine Hürde vorfinden. Für uns war ein klares Kriterium demnach eine möglichst einfache Einrichtung.
Wir mussten jedoch feststellen, dass nur wenige Geräte auf dem Markt bisher alle Kriterien erfüllen und wir immer wieder mit Vor- und Nachteilen in den jeweiligen Produkteigenschaften konfrontiert sind. So sind neuere Geräte teilweise aufgrund unscharfer Linsensysteme, geringer Auflösung oder der Verwendung von LCD-Bildschirmen für unseren Anwendungsfall weniger geeignet, während ältere VR-Brillen diese Anforderungen teilweise erfüllen. Dafür jedoch reicht ihre Auflösung nicht aus oder sie sind schlichtweg nicht mehr erhältlich. Andere Geräte erfüllen die Anforderungen im Bereich Auflösung und Farbgenauigkeit, haben jedoch Nachteile in der Nutzerfreundlichkeit und Ergonomie.
Sie sehen also, noch gibt es für uns nicht das Gerät am Markt, welches alle Probleme lösen könnte. Gleichzeitig sind bereits viele weitere VR-Headsets am Horizont erkennbar, wie das Headset von Apple, möglicherweise von Microsoft oder Google, sowie die nächsten Generationen von Meta und so weiter. Welche technischen Eigenschaften diese dann aufweisen, wird sich erst noch herausstellen müssen. Die technische Entwicklung ist jedoch im ständigen Fluss und unter intensiver Beobachtung.
Softwareseitig haben wir insbesondere mit den Entwicklungsumgebungen Unreal Engine und Unity3D experimentiert und erste Erfahrungen gesammelt. Da beide Entwicklungsumgebungen umfangreiche Dokumentationen zur Entwicklung von Virtual Reality Software haben, konnten wir auch vor der eigentlichen Entwicklung erste Erfahrungen sammeln und Proof of Concepts bzw. Prototypen erstellen.
Was waren bisherige Herausforderungen oder Hürden beim Einsatz bzw. der Implementierung der Technologie?
Eine unserer bisherigen Hürden war zum Teil die Kommunikation mit den größeren VR-Hardwareherstellern. Exakte Informationen hinsichtlich der Farbgenauigkeit der verbauten Komponenten und einer möglichen Kalibrierbarkeit zu erhalten, stellte sich als schwieriger heraus als erwartet. Jegliche Information, die über die üblichen Spezifikationsblätter hinausgingen, waren schwer bis nicht zu erhalten. Mit der Zeit konnten wir dann jedoch die Informationen erhalten, die wir benötigten.
Eine weitere Hürde war und ist, wie wir Personen, welche noch nie VR erprobt haben und noch nicht sicher zwischen Augmented Reality und Virtual Reality unterscheiden können, die Vorteile dieser Technologie für unseren Use Case erläutern können. Dies gilt insbesondere dann, wenn wir nicht in VR direkt demonstrieren können, was wir zu erreichen versuchen.
Virtual Reality in 2D, als Powerpoint-Präsentation oder als Video zu zeigen, überzeugt selten auf Anhieb und bleibt sehr erklärungsintensiv. Personen, die den Mehrwert direkt erkennen können, haben zumindest bereits erste eigene Erfahrungen mit VR sammeln konnten. Auch aus diesem Grund haben wir versucht, so früh wie möglich erste Showcases zu erstellen, um unsere Idee und den Mehrwert direkt in VR zu demonstrieren. Wir wissen aber, dass wir hier noch besser werden können und freuen uns, die ersten Versionen von n.LIGHT zu zeigen.
Wie reagieren Ihre Kunden und Kundinnen bisher auf VR-gestützten Services? Wie stehen Ihre Mitarbeitenden dazu?
Die Kunden, mit denen wir gesprochen haben, blicken mit Spannung auf die Entwicklung. Da wir uns noch sehr früh in der Entwicklung befinden, möchten wir nicht die Kommunikationsoffensive starten, ohne mit einer eindrucksvollen VR-Erfahrung unmittelbar nachlegen zu können.
Unsere Mitarbeitenden finden die Entwicklung von n.LIGHT ebenfalls spannend. Es ist, auch wenn sie schon seit einigen Jahren am Markt zu finden ist, in vielerlei Hinsicht noch immer eine neuartige Technologie. Erst kürzlich hat sie durch Meta‘s Ankündigung ein Metaverse zu erstellen neuen Aufwind erhalten. Viele Marken möchten nun auf den Metaverse-Zug aufspringen und daran partizipieren.
Gibt es weitere Pläne, Entwicklungen oder Ideen im Zusammenhang mit dem weiteren Einsatz von VR?
Die Ideen für Einsatzzwecke und Services bei uns sind sehr umfangreich. Das betrifft interne Verbesserungen von Prozessen, aber auch ergänzende Services für andere Geschäftsbereiche. Ob und welche davon umgesetzt werden, wird sich zeigen. Es ist immer eine Frage des zu erwartenden Nutzens, gemessen am notwendigen Aufwand.
André Grothus, Technical Manager VR | e.GEN bei SAUERESSIG Group
Welchen Ratschlag würden Sie anderen Unternehmen geben, die ein VR Pilotprojekt einführen möchten oder generell Produktionsprozesse automatisieren & digitalisieren möchten?
Wenn ich einen Ratschlag geben müsste, dann würde ich sagen: Einfach mal anfangen und erste Erfahrungen sammeln. Das kann mit ersten Studierendenprojekten beginnen, über Abschlussarbeiten weitergehen oder auch Forschungsprojekte mit z. B. Hochschulen oder Instituten bedeuten. Als Unternehmen kann man hierbei viel lernen!
Wichtig für uns war, Wissen aufzubauen, die VR-Technologien und dessen Möglichkeiten und Grenzen zu verstehen, um daraufhin besser einschätzen zu können, ob ein Projekt überhaupt Erfolgsaussichten hat. Meiner Meinung nach kann hier auch ein Austausch mit anderen Unternehmen helfen, um für individuelle Problemstellungen vielleicht den richtigen Impuls zu erhalten. Neue Technologien und deren Einsatzzweck zu verstehen, kann aufwendig sein. Finden Sie jemanden im Unternehmen, der/die Interesse hat, sich intensiv mit VR auseinanderzusetzen und räumen Sie Kapazitäten ein. Ansonsten könnte die Initiative im Tagesgeschäft genauso schnell wieder untergehen, wie sie aufgekommen ist – ungeachtet des tatsächlich möglichen Potenzials.
Herr Grothus, herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!
Für KMU des produzierenden Gewerbes gibt es in unserer Augmented Reality Fokusgruppe die Gelegenheit für den intensiven Erfahrungsaustausch untereinander zum Einsatz der Technologie – unabhängig vom aktuellen Kenntnisstand.