3D-Druck

„Mit additiver Fertigung kann der Lebenszyklus von Produkten durch ‚ewige‘ Ersatzteile verlängert werden“

Interview mit Peter Benthues, Geschäftsführer der Firma H. Gautzsch Zentrale Dienste GmbH
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Immer mehr Unternehmen setzten sich aktiv mit der Frage auseinander, ob Additive Fertigungsverfahren (3D-Druck) für die eigene Produktion oder Wertschöpfungskette infrage kommen und mit welchem Nutzen. Peter Benthues, Geschäftsführer der Firma H. Gautzsch Zentrale Dienste GmbH mit Sitz in Münster, spricht in einem Interview mit dem Digitalradar münsterLAND darüber, wie sein Unternehmen bei dieser Fragestellung vorgegangen ist und wie daraus ein vielversprechendes Geschäftsmodell basierend auf 3D-Druck entstanden ist.

Herr Benthues, Ihre Unternehmensgruppe agiert als Großhändler für Elektroprodukte und Konsumgüter. Aus welchem Grund beschäftigen Sie sich als Händler mit Additiver Fertigung (3D-Druck)?

Im Kern gibt es zwei Argumente dafür: Das erste ergibt sich aus unserer Rolle als Großhändler, das zweite aus unserer Rolle als Hersteller, die wir im Sektor Haus & Garten haben.

Als Großhändler leben wir davon, dass wir einlagern und lokal distribuieren. Wenn die Verheißung der additiven Fertigung eintrifft und demnächst lokal in der Losgröße 1 produziert wird, dann würden diese beiden Funktionen entfallen. Aus dem Grund ist es wichtig, sich heute damit zu beschäftigen, wie realistisch ein solches Szenario ist, wie es aussehen könnte und wo dann die Opportunitäten für einen Großhändler liegen.

Die zweite Überlegung ist, dass wir qualitativ hochwertige Möbel anbieten wollen, die einen möglichst langen Lebenszyklus haben, um so auf die Nachhaltigkeitsanforderungen des Konsumenten einzugehen. Eine solche Verlängerung des Lebenszyklus ist mit Ersatzteilen aus dem 3D-Druck zu erreichen, die wir deshalb „ewige Ersatzteile“ nennen, weil sie nicht mehr vom Produktlebenszyklus des Mutterproduktes und seinen Ersatzteilen abhängig sind. Wir können diese auf unbestimmte Zeit immer wieder nachdrucken, unabhängig davon, was in der Fabrik selbst passiert und was dort an Lebenszyklen vielleicht zu Ende geht.

Seit wann beschäftigt sich Ihr Unternehmen mit dieser Technologie?

Unser Unternehmen experimentiert seit circa 1,5 Jahren mit dieser Technologie. In einer ersten Phase haben wir uns experimentell mit additiven Fertigungsverfahren vertraut gemacht, mit den Materialien, den optimalen Prozessschritten sowie mit der Nachbearbeitung inklusive der Qualitätssicherung. Des Weiteren haben wir Netzwerke gefunden, die es erlauben, dieses Thema jenseits unseres Maschinenparks professioneller anzugehen. Nach dieser experimentellen Phase erreichen wir langsam eine Phase, die durch eine stärkere Professionalisierung gekennzeichnet ist und in eine gewisse Serienfertigung übergeht.

Wo setzen Sie aktuell 3D-Druck bei sich im Unternehmen ein?

Im Elektrobereich sind wir noch in einem frühen Stadium. Dort hat sich noch kein Geschäftsmodell basierend auf 3D-Druck herausgebildet.

Im Bereich Haus & Garten, bei unserer Marke Siena Garden, sind wir gerade dabei, die ewigen Ersatzteile einzuführen. Sie werden heute schon auf Verlangen des Kunden und des Produktmanagements bereitgestellt. Wir arbeiten daran, dies zu professionalisieren und zu systematisieren. Wir werden die 3D-Druck Ersatzteile auf der Webseite der Marke verfügbar machen und in Zusammenarbeit mit Replique, einem Partner, der gerade bei BASF ausgegründet wird, auch industriell bereitstellen.

Wie werden die „normalen“ Ersatzteile hergestellt?

Zurzeit werden diese Ersatzteile in der oft asiatischen Ursprungsfabrik des Mutterproduktes mitbestellt, sofern sie dort verfügbar sind. In den ersten Jahren des Produktlebenszyklus des Mutterproduktes ist das recht einfach möglich, weil der Mutterartikel noch hergestellt wird. In den Folgejahren wird es schwieriger. Dann beziehen wir aus dieser Fabrik vielleicht weniger Ware, oder auch manchmal gar keine mehr, d. h. diese Artikel müssten extra versendet werden. Dabei fallen hohe Versandkosten an und auch die Lieferzeiten sind unter Umständen sehr lang. Diese beiden Punkte adressieren wir mit Ersatzteilen aus dem 3D-Druck, die auf Knopfdruck produziert werden können und das mit sehr kurzen Lieferzeiten. Diese mögen zwar teurer sein als aus der Serienproduktion, der Preis des Ersatzteils rechtfertigt sich jedoch nicht nur aus sich selbst heraus, sondern auch aus der Kostspieligkeit des Mutterproduktes, das im schlimmsten Fall ohne dieses Ersatzteil weggeworfen oder neu beschafft werden müsste. Wir reden also z. B. davon, dass ein Stuhl, wegen eines fehlenden Ersatzteils weggeworfen werden muss, das vielleicht irgendwann nur 2-3 Euro gekostet hat, aber jetzt nicht mehr zur Verfügung steht. Dann ist es immer noch besser, vielleicht 20 Euro für ein Ersatzteil aus dem 3D-Drucker zu bezahlen, dafür aber den Stuhl, der 100 Euro gekostet hat, oder gar die ganze Sitzgruppe nicht wegwerfen zu müssen.

Die Fußkappe eines Stuhls aus dem 3D-Drucker 

Welche Ersatzteile sollen mit Hilfe des 3D-Drucks gedruckt werden?

Wir sind grundsätzlich offen und sehen zunehmend, wie weit das Feld ist, zum Beispiel auf der Materialseite. Momentan sind wir auf Kunststoff festgelegt. Es geht konkret um Fußkappen und um Abdeckkappen, aber auch schon um Raster oder kleinere Scharniere. Dieses Ersatzteil-Thema hat beträchtliches Potenzial, weil die Einschränkungen, die die Technologie bietet, nicht mehr funktional sind. Natürlich spielen Kosten und Zeitaufwände eine Rolle, aber funktionale Einschränkungen im Sinne von, dass bestimmte Belastungswerte nicht erreicht werden, oder dass man an den Eigenschaften scheitert – sehen wir im Ersatzteilbereich nicht.

Das ist bei dekorativen Artikeln sicherlich etwas anderes. Ersatzteile sind am Anfang ein guter erster Schritt, wenn man durchaus ein paar Kompromisse machen kann, was z. B. die Oberflächenqualität angeht. Selbst das beste Prost Processing mag bestimmte Oberflächen nicht an das heranführen, was der Verbraucher vom Mutterprodukt kennt. Doch die Story des verlängerten Produktlebenszyklus, die besondere Nachhaltigkeit und Individualität von nicht-serienmäßigen Ersatzteilen, rechtfertigt schnell einen Kompromiss. Am Ende liegt es an der richtigen Kommunikation mit unseren Endkunden.

Wie soll der Druck von Ersatzteilen geschehen und mit welchen Herausforderungen haben Sie dabei zu tun?

Das Vorhalten von 3D-Druck Geräten ist nur eine Second-Best Lösung. Die erste Wahl ist es, auf Partner zu setzen, die jeweils einen Maschinenpark betreiben, auf den man dynamisch zugreifen kann. Es wird auch Stärken und Schwächen geben, denn nicht überall stehen alle Druckverfahren zur Verfügung. Dafür ist die eine oder andere Druckfarm vielleicht schneller als diejenigen, die hochwertige Drucker einsetzt.

In solchen Netzwerken bedarf es einer Lösung, die sicherstellt, dass das intellektuelle Eigentum des Herstellers in diesem Prozess nicht kompromittiert wird. Kein Hersteller würde einem Logistiker eine Konstruktionsdatei überlassen, ohne dass das sichergestellt ist. Denn es gäbe keine Kontrolle darüber, wie diese Datei kommerziell ausgeschöpft und mit welcher Qualität sie angewandt wird. Deswegen ist für uns die Technologieplattform von Replique so wichtig – dort können Hersteller bedenkenlos ihre Konstruktionsdatei bereitstellen, sie ist dort gesichert, die Produktionsparameter sind gefixt, sie wird verschlüsselt übertragen und sie wird nur so weit ausgeschöpft, wie es vertraglich vereinbart ist. Gegebenenfalls wird die Konstruktionsdatei noch qualifiziert im Sinne der Printability, des Druckverfahrens und der Materialauswahl und kann so über die Wertschöpfungskette hinweg bedenkenlos ausgetauscht werden.

Wer sind die Endkunden Ihrer Ersatzteile?

Auf der einen Seite bieten wir die Ersatzteile als Service für unsere Händler an. Das ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal auch anderen Marken gegenüber, bei denen der Händler große Sorgen hat, wie die Ersatzteilversorgung genau aussieht. Große Baumarktketten versuchen, dies vertraglich sicherzustellen. Oft gelingt das jedoch nicht. Mit uns ist das jederzeit möglich.

Wir haben bei unserer Marke Siena Garden schon einen Ersatzteile-Shop im Internet und dort werden dem Endkunden die Ersatzteile auch unmittelbar angeboten. Das Feedback der Kunden ist sehr positiv. Dieser Ersatzteilshop wurde vor fünf bis sechs Jahren von uns gestartet. Wir haben in der Zwischenzeit hunderttausende von Ersatzteilen verkauft – für Möbel, die sonst wahrscheinlich entsorgt worden wären.

Was war das Wichtigste, das Sie bei der Auseinandersetzung mit der 3D-Druck Technologie gelernt haben?

Zunächst mussten wir die Grundlagen lernen, also Druckverfahren, Materialien, die zur Verfügung stehen, Konstruktion usw. Wir haben dann schnell gemerkt, dass Teile, die für andere Fertigungsverfahren entworfen wurden, ihr volles Potenzial beim 3D-Druck nicht ausschöpfen können, da zumindest in Teilen eine Rekonstruktion oder ein Reengineering notwendig sind.

Wir haben auch gelernt, dass der 3D-Druck nur zu 20 Prozent aus dem Prozess des Druckens besteht, und dass die Vor- und Nachbereitung inklusive der Qualitätssicherung wesentlich sind.

Was empfehlen Sie Unternehmen, die ebenfalls überlegen, in 3D-Druck zu investieren?

Ich würde auf jeden Fall dieses experimentelle Herangehen empfehlen und dazu raten, Dinge selbst auszuprobieren. Wenn man sich mit den eigenen Produkten, dem eigenen Sortiment und den eigenen Möglichkeiten beschäftigt, kommt man zu ganz anderen Schlussfolgerungen, als wenn man Bücher liest oder Kongresse besucht. Außerdem wird die Fantasie dadurch angeregt! Es werden Diskussionen im Unternehmen ausgelöst, teilweise über das Unternehmen hinaus. Es kommt dadurch ein Innovationsprozess in Gang, der sich – wenn überhaupt – sonst nur im Kopf von wenigen abspielt.

Impressionen aus dem 3D-Druck Labor der Firma H. Gautzsch Zentrale Dienste GmbH in Münster

Sie verfügen in Münster über eines der ersten 3D-Labore im deutschen Großhandel. Was passiert dort aktuell und welche Pläne gibt es für das Labor?

Zurzeit arbeiten wir dort an der Professionalisierung des Ersatzteil-Themas. Und wir haben die Diskussion über die Chancen für unternehmensübergreifende Wertschöpfungsketten in der Elektroindustrie, die 3D-Drucker einsetzen, noch nicht aufgegeben.

Das Labor wird zunehmend zu einer Denkfabrik. Irgendwann wird man die 3D-Drucker nicht mehr einsetzten müssen, um Einsichten in die Machbarkeit von einzelnen Produkten zu finden, sondern wir werden langsam dazu übergehen, eher über Geschäftsmodelle zu diskutieren.

An welchen Kooperationen zum Thema 3D-Druck wären Sie interessiert?

Wir haben dieses Labor von Anfang an in einem Open-Innovation-Ansatz geführt, der andere dazu einlädt, mit uns über dieses Thema zu diskutieren und zu experimentieren.

Wir haben gemeinsam mit dem münsterLAND.digital e.V. und dem FabLab sowie mit weiteren Partnern eine Veranstaltungsserie aufgesetzt, bei der wir mit Lieferanten diskutiert haben, wie der 3D-Druck in komplexeren Wertschöpfungsketten eingesetzt werden kann. Das sind erste theoretische Beispiele für Kooperationen gewesen. Daneben geht es auch handfest partnerschaftlich im Labor zur Sache. Wir haben mit einem Architekturbüro Kommunikationsmuster gedruckt, wir haben uns mit einem Handwerksbetrieb im Gehäusebau umgesehen, wir haben Betriebsmittel für die eigene Unternehmensgruppe zur Verfügung gestellt und wie viele andere auch während der Corona-Krise geholfen. Wir haben z. B. für eine Kirche Schutzschilder für den Gottesdienst produziert. Das sind alles eigene Herausforderungen gewesen, in denen man immer wieder etwas Neues gelernt hat. Das führen wir gerne fort und laden alle zum Erfahrungsaustausch aber auch gerne zur Nutzung unseres Maschinenparks ein. Ich bin mir sicher, dass viele Partner von diesem Austausch profitieren können.

Interviewpartner: Peter Benthues, Geschäftsführer

 

Herr Benthues, herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!

 

 

Bildnachweise:

Bilder der Firma H. Gautzsch Zentrale Dienste GmbH

 

Weitführende Quellen:

Feldmann (2019): „Digitale Geschäftsmodell-Innovationen mit 3D-Druck“ 
Brinkmann et al. (2020): „3D-Druck eröffnet Unternehmen ganz neue Möglichkeiten“

 

 

Autor Varvara Leinz

Ahaus


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