Leitfäden

Geschäftsmodell-Innovationen im Maschinenbau angehen

LinkedIn

Digitale Unternehmen wie Airbnb, Uber, PayPal und Co. mit Plattform- oder datenbasierten Geschäftsmodellen bringen stetig neue Produkte und Serviceangebote hervor, welche die Spielregeln auf Märkten radikal ändern können. Eines der prominentesten Beispiele ist der Wechsel vom bis dahin marktbeherrschenden Nokia-Handy zum Smartphone (iPhone), eingebettet in ein Plattform-Geschäftsmodell (iStore) zur Mitte der 2000er-Jahre. Angefangen in klassischen Endkunden-Märkten (B2C) vollziehen sich diese Entwicklungen nun zunehmend in Geschäftskunden-Bereichen (B2B).

Als Konsequenz aus den privaten Nutzererlebnissen steigen die Kundenanforderungen im Hinblick auf die Einfachheit und Vernetzungsfähigkeit von Produkten und Services. Für Hersteller von Maschinen und Anlagen bedeutet dies, dass eine reine Befähigung durch digitale Komponenten und Vernetzungsmöglichkeiten im Sinne eines „Internet der Dinge“ (engl. Internet of Things, IoT) langfristig nicht ausreichend ist, um die Wettbewerbsvorteile aufrecht erhalten zu können.

Vielmehr deuten Studien darauf hin, dass sich die Umsätze im Maschinen- und Anlagenbau bis zu 2/3 in Richtung von Servicegeschäften verschieben werden (LINK). Folglich muss sich der Fokus von reinen Produktinnovationen auf eine ganzheitliche Betrachtung der Geschäftsmodelle richten, was bisher nur bei wenigen Unternehmen strategisch getan wird. Dieser Beitrag beantwortet die wichtigsten Fragen zu Geschäftsmodell-Innovationen im Maschinen- und Anlagenbau und zeigt, welche Antworten andere darauf bereits gefunden haben.

1.

Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells hinterfragen

1.
Plattform- und datenbasierte Geschäftsmodelle ändern das „Spielfeld“. Schon heute ist abzusehen, dass die digitalen Plattformen von Uber bzw. Airbnb die Existenzgrundlage von Taxiunternehmen bzw. Hotelketten nachhaltig gefährden können.

Ein Geschäftsmodell beschreibt das Grundprinzip, nach dem eine Organisation Werte für seine Kunden schafft und damit Geld verdient (vgl. Osterwalder & Pigneur, 2010).

Damit etablierte Industrieunternehmen nicht eines Tages vor einer ähnlich großen Herausforderung stehen, gilt es jetzt das „Heft des Handelns“ in die Hand zu nehmen und das eigene Geschäftsmodell kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Dabei gilt es, neue Wege zu finden, um die Kunden noch besser an das eigene Unternehmen zu binden und zusätzlich neue Umsatzquellen aufzubauen.

2.

Technische Infrastruktur schaffen oder modernisieren

2.
Die IT-Infrastruktur des Unternehmens bildet die Basis für digitale Produkte und Services. Folglich gilt es hier die Grundlagen zu schaffen und bestehende Strukturen zu modernisieren/fortzuentwickeln, um den Pfad eines digitalen Geschäftsmodells betreten zu können. Damit ist ausdrücklich nicht gemeint, dass ständig die neuesten Technologien genutzt werden müssen. Wichtig ist vielmehr, dass ausgewählte Prozesse eines analogen Geschäftsmodells möglichst durchgängig digitalisiert werden, d.h. Datenerfassung, -speicherung und -auswertung, um die Effizienz zu steigern. Konkret, sollten Maschinenbauer folgende Fragen für sich beantworten können:
  • Bei welchen Geschäftsprozessen gibt es Medienbrüche und wie können diese durch den Einsatz digitaler Technologien reduziert / abgebaut werden?
  • Was sind die kritischen Prozesse und wie können diese durch IT-Einsatz besser gesteuert werden?
  • Wie können bestehenden Anlagen und Fertigungsmaschinen in die IT-Infrastruktur eingebunden werden (Retrofit)?

3.

Technologie- und Markttrends analysieren

3.
Neue Technologien und veränderte Kundenanforderungen sind seit jeher Treiber von Innovationen. Die oben angeführten digitalen Plattform- und datenbasierten Geschäftsmodelle gründen im Wesentlichen auf den technologischen  Fortschritten in den Bereichen des Cloud-Computing  und der Mobile Devices (Smartphones, Tablets). Mit dem Internet der DingeKünstlicher Intelligenz (KI), Blockchain oder 3D-Druck rollen die nächsten technologischen Wellen mit diversen Innovationen auf die Industrie zu. Relevante Fragestellungen für Maschinenbauer sind hier u.a.:
  • Welche Vorteile bietet die Anbindung unserer Maschinen und Anlagen (intern und extern) an eine digitale Plattform? (Industrial IoT)
  • Wie können bestehende Datentöpfe durch Algorithmen wertschöpfend genutzt werden? (Künstliche Intelligenz)
  • Was wäre, wenn wir vollständige Transparenz über die gesamte Lieferkette erreichen oder garantieren könnten? (Blockchain)
  • Wo könnten unsere Fertigungsprozesse durch additive Fertigungsverfahren erweitert oder ersetzt werden? (3D-Druck)

4.

Die Kundenschnittstelle besetzen

4.
Die direkte Interaktion mit den Kunden aufrecht zu erhalten ist wahrscheinlich die wichtigste Maßnahme für Maschinenbauunternehmen. Daten (aus den Maschinen und Anlagen beim Kunden) sind hierbei das Wirtschaftsgut der Zukunft. Einerseits erlauben diese, Rückschlüsse auf den Einsatz der eigenen Produkte zu ziehen und entsprechend des Nutzungsvehaltens der Kunden weiterentwickeln zu können. Andererseits sind Datenströme die grundlegende Ressource, um neue digitale Zusatzleistungen wie beispielsweise prädiktive Wartung oder Fernwartung aufbauen und monetarisieren zu können. Insofern ist die Kontrolle über die Kundenschnittstellen und der Zugriff auf relevante Daten von essentieller Bedeutung, um darauf aufbauend weitere Maßnahmen zur digitalen Erweiterung des Geschäftsmodells einleiten zu können.

5.

Den Wandel zum Lösungsanbieter meistern

5.
Für Maschinenbauunternehmen wird es perspektivisch von großer Bedeutung sein, sich von der Fokussierung auf die Performance einzelner Maschinen zu lösen und hin zum Lösungspartner für den Fertigungsprozess ihrer Kunden zu entwickeln. Eine wichtige Maßnahme dafür ist es, Daten aus Maschinen und Anlagen beim Kunden (Stichwort: Kundenschnittstelle) zu nutzen, um so genannte Value-Added-Services zu entwickeln. Dazu sollten Maschinenbauunternehmen möglichst frühzeitig damit beginnen zu definieren, welche Rolle sie im IoT-Ökosystem einnehmen möchten bzw. können. 

6.

Für welche Dienste sind Dein Kunden bereit zu zahlen.

6.
Zahlreiche Maschinenbauer bieten schon heute digitale Dienstleistungen an (LINK). Insbesondere Fernzugriffe, Monitoring-Dienste und web-basierte Trainings sind teilweise recht weit verbreitet. Allerdings sind die Kunden dabei recht preissensibel. Während für Engineering und Inbetriebnahme einer Maschine oder Anlage eine recht geringe Zahlungsbereitschaft besteht (Prozesseffizienz), können für nachgelagerte Services für die Erhaltung des Betriebszustandes hohe Ertragspotenziale generiert werden (Stichwort: Pay-per-use).

7.

Digitale Transformation vs. Unabhängiger Neuaufbau

7.
Im Grunde können etablierte Unternehmen Innovationen auf Geschäftsmodell-Ebene auf zwei unterschiedenen Wegen angehen:
  • Digitale Transformation: Digitale Transformation des bestehendes Geschäftes, IoT-Befähigung der eigenen Produkte und Entwicklung zusätzlicher Dienstleistungen (Digital erweitertes Geschäftsmodell)
  • Unabhängiger Neuaufbau: Aufbau eines völlig neuen, digitalen Geschäftsmodells unabhängig vom bisherigen Kerngeschäft (Plattform- oder datenbasiertes Geschäftsmodell)

7a

Digitale Transformation des etablierten Geschäftsmodells

7a
Die erste Strategie bezieht sich auf die konsequente Weiterentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells durch zusätzliche digitale Komponenten. Eine Maßnahme stellt die Digitalisierung von Produkten dar, um zusätzliche digitale Dienstleistungen bereitstellen zu können. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich hier beispielsweise die Unterstützung von Remote Services für Anlagen beim Kunden mittels Augmented-Reality-Brillen. Insbesondere die Corona-Beschränkungen treiben eine beschleunigte Adoptionsrate. Mit dieser Strategie wird vor allem  Bindung der bestehenden Kundenbeziehungen verfolgt. Die Erweiterung des Geschäftsmodells konzentriert sich dabei oftmals auf die Digitalisierung des Kunden- und Vertriebsprozesses. Hier stellt sich für Maschinenbauer die Frage, ob der Aufbau eines Shopsystems (z.B. für die Abwicklung von Ersatzteilaufträgen) oder die Nutzung fremder Vertriebsplattformen das richtige Mittel der Wahl ist.

7b

Neuaufbau eines unabhängigen Digitalgeschäftes

7b
Der Aufbau eines völlig neuen Geschäftsmodells, das losgelöst vom eigenen Kerngeschäft steht, ermöglicht die Erschließung neuer Kundensegmente, stellt etablierte Unternehmen aber auch vor völlig neuartige Herausforderungen. Hervorzuheben ist hierbei der Fokus auf eine hohe Skalierbarkeit. Das bedeutet, dass ein überproportionales Umsatzwachstum möglich ist, ohne dass die Kosten im gleichen Maße steigen. In der Regel erfordert der Aufbau eines digitalen Geschäftsmodells Kompetenzen, die im klassischen Maschinenbauunternehmen nicht vorzufinden sind. Aufgrund der Komplexität empfehlen sich hier Partnerschaften auf vertikaler oder horizontaler Ebene, um Teil eines Industrie 4.0-Ökosystem werden zu können.  Hierbei sollten sich Maschinenbauer die folgenden Fragen stellen:
  • Wie kann ich die Transaktionskosten in einer digital vernetzten Welt reduzieren?
  • Welche Prozesse, die ich derzeit selbst erledige,  könnten auch durch externe Partner (z. B. Lieferanten, Kunden) von mir übernommen werden?
  • Welchen zusätzlichen Wert können externe Partnern Datenströme über die Produktnutzung für meine Kunden generieren?
  • Wie kann die Interaktion mit meinen Kunden verbessern und mehr über deren Bedürfnisse erfahren?

8.

Anschluss zu innovativen Partnern finden

8.
Gerade produzierende Unternehmen müssen für die Sicherung des Zukunftsgeschäftes geeignete Plattformen und Kooperationspartner finden, um relevant zu bleiben und nicht zum austauschbaren Lieferanten von „Commodities“ zu werden. Der gemeinsame Aufbau eines digitalen Geschäftsmodells ist in vielen Fällen realistischer als Alleingänge. Hierbei sind wissenschaftliche Institutionen, Unternehmensnetzwerke und Innovationszentren wichtige Anlaufstellen, um externes Feedback für Innovationsideen einzuholen und die richtigen Umsetzungspartner zu identifizieren.

Weiterführende Quellen:

  • Bundesministerium für Wirtschaft und Verwaltung (BMWi) (2019): „Digitale Geschäftsmodelle für die Industrie 4.0“.  Plattform Industrie 4.0. Ergebnispapier. Berlin
  • Palm, Ranz & Gulding (2018): „Geschäftsmodelle für die Industrie 4.0. Erfolgsfaktoren, Hindernisse und Anwendungsbeispiele.“ ESB Business School. Im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung.  Reutlingen
  • Parker, Van Alstyne & Choudary (2017): „Die Plattform-Revolution. Von Airbnb, Uber, PayPal und Co. lernen: Wie neue Geschäftsmodelle die Wirtschaft verändern. Methoden und Strategien für Start-ups und Unternehmen.“ mitp Verlags GmbH & Co. KG, Frechen
  • Rauen et al. (2018): „Plattformökonomie im Maschinenbau. Herausforderungen-Chancen-Handlungsoptionen.“ VDMA, Roland Berger GmbH

Bildnachweise:



Schreibe einen Kommentar